von Rolf Müller, 16.01.2015
Multikulti-Trumpf (Video)
Vom Kalkül müsste die Schweiz die Berner Band Timebelle an den Eurovision Song Contest 2015 senden: Die sechsköpfige Band aus vier Nationen wäre ein Stimmenfänger. Gemanagt wird sie aus dem Thurgau.
Rolf Müller
„Halt, nicht nur gemanagt“, widerspricht Schlagzeuger Samuel Forster (32) und lacht: „Ich bin ein echter Hinterthurgauer aus Busswil. Hier aufgewachsen und sehr glücklich“. Als Band aus Bern gilt die Formation nur drum, weil er und seine Bandkollegen sich vom Musikstudium an der dortigen Hochschule der Künste kennen. Daher auch der Name „Timebelle“; es ist eine Reverenz an den Zytglogge, dem Wahrzeichen der Hauptstadt.
Gegen Ende des Studiums hatte sein Kollege, der rumänische Saxophonist Emanuel Andriescu, die Idee, eine Band zusammenzustellen. Zur Formation gesellten sich der Serbe Rade Mijatovic am Akkordeon, der ungarische Bassist Sandor Török, der Westschweizer Gitarrist Christoph Siegrist und eben der in Deutschland gebürtige Samuel Forster an den Drums sowie als Manager der Band. Später kam mit Andriescus Landsfrau Miruna Manescu eine Sängerin mit starker Stimme und Bühnenerfahrung dazu.
Timebelle und ihr Song «Singing about love»:
Proben in Weinfelden
Ausser Manescu, die zeitweise in Bern, zeitweise in ihrer Heimat als Sängerin und Schauspielerin arbeitet, sind alle Bandmitglieder in der Ost- und Westschweiz und in Bern zu Hause. Einer ihrer zentralen Bezugspunkte ist die Musikschule Weinfelden, an der Forster Schlagzeug unterrichtet. Mindestens einmal im Monat probt Timebelle in den Räumlichkeiten gegenüber dem Bahnhof. „Hier fühlen sich alle wohl“, freut er sich.
Hiess die Band anfangs noch „Balkan Import Ltd.“ und spielte tanzbaren Gipsy-Sound mit Balkan-Einschlag, taufte sie sich 2014 in „Timebelle“ um. „Der ursprüngliche Name war unglücklich. Er hielt einerseits Balkanstämmige von Konzertbesuchen ab, weil sie in der Schweiz bewusst an andere Konzerte gehen. Andererseits hielten auch Schweizer Distanz.“
Erweitertes Repertoire
Mit der Namensänderung erweiterte die Band auch ihr stilistisches Repertoire; zum ausgelassenen Balkan-Sound kamen mehr Rock und Pop-Elemente hinzu. Geblieben und gemeinsamer Nenner ist der optimistische Grundton ihrer Musik. „Musik soll in einer universelle Sprache Menschen verbinden, Brücken bilden und Lebensfreude vermitteln“, so Forster.
Quasi als Konzentrat davon sieht er den Song «Singing about love», mit dem sie am 31. Januar in der SRF-Liveshow zur Schweizer Entscheidung für die Teilnahme am Eurovision Song Contest 2015 im Mai in Wien antreten.
„Es ist das einzige Stück aller sechs Finalisten, das in Dur geschrieben ist, keine eher traurigen Moll-Töne, sondern ausschliesslich positive Energien hat“, schwärmt der Berufsmusiker. Das Lied handelt von der glücklichen Liebe und dem, was sie alles möglich macht.
Samuel Forster in der Musikschule Weinfelden. Gewinnt Timebelle, schmeisst deren Chef eine Party. (Bild: Rolf Müller)
Potential zum Gassenhauer
Tatsächlich hat «Singing about love» das Potential für einen Gassenhauer, ohne dabei profillos zu sein. Insider gehen davon aus, dass sich Timebelle im SRF-Finale ein Duell mit dem in Erlen aufgewachsenen Andy McSean liefern könnte, der mit „Hey Now“ an den Start geht. Timebelle scheut die Konkurrenz nicht. Nicht nur aus musikalischen Gründen.
„Bekanntlich ist die Schweiz beim Eurovision Song Contest ja auf Stimmen anderer Länder angewiesen. Wir sind eine multikulturelle Truppe. Alle Bandmitglieder sind in ihren Heimatländern verwurzelt, geben Konzerte da und sind bekannt, auch medial. Darum sind wir überzeugt, dass wir Stimmen nicht nur aus der Schweiz, sondern aus vier oder fünf weiteren Nationen holen könnten. Für die Schweiz“, führt Forster aus.
Thurgau bleibt Wohnkanton
Als Vorbereitung auf die SRF-Entscheidungsshow hat Timebelle in den letzten Wochen intensiv geprobt und für die Bühnenpräsenz oft auch live gespielt. Sollten sie das Ticket nach Wien gewinnen („Alle fünf Jungs in der Band haben Bärte“), würden sie die Schweiz mit Herzblut vertreten.
Und auch eine anschliessende internationale Karriere wäre für den Thurgau-Fan keinerlei Grund für einen Wegzug aus dem Kanton: „Der Flughafen Zürich ist ja nur einen Katzensprung von Weinfelden entfernt“.
***
Mehr zum Thema Eurovision Song Contest 2015:
Andy McSean, der Musiker und ehemalige Radiojournalist aus Erlen (Video):
Ostschweizer Wurst - thurgaukultur.ch vom 10.12.2014
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