von Thomas Brütsch, 02.10.2014
Göttergleiche Helden
Bei Models spricht man von Traummassen. Im Fussball vom Spielsystem. Beides gibt zu reden und ist Geschmackssache. Bei klassisch aufgestellten Big Bands heisst es: 5-5-4-3. Alles klar?
Thomas Brütsch
Jedwelche Big Band ist das Elysium eines Bläsers. Ob Swing, Jazz oder Tanzmusik. Eine Big Band ist die „Insel der Seligen“, am äussersten Ende des Erdkreises. Und auf die elysischen Inseln werden nur jene Helden entrückt, die von den Göttern geliebt werden – oder denen sie Unsterblichkeit schenken.
Nein. Diesmal geht es willsgott nicht um Geschmackssache. Wer die Erhabenheit einer Big Band nicht anerkennt – er wird die Unsterblichkeit nie erblicken. Er wird ins Reich des Totengottes Hades geschickt. Schutzlos. Wehrlos. Unwiderruflich. Aus, fertig, Schluss.
Da sitzen sie also. Die 17 Musiker der International Festival Big Band von „generations“. Es handelt sich bei den Helden um fünf Trompeter, fünf Saxophonisten, vier Posaunisten und eine Rhythmusgruppe (Piano, Bass und Schlagzeug). Eben: 5-5-4-3. Soweit die Hierarchie. Natürlich dürfte man überall ein bisschen abspecken und Sängerinnen und Gitarristen dazumischen. Die Götter haben das aber anderes bestimmt. Und so sei es.
Gala-Abende von „generations“ sind nicht von Pampers: Die Band bei der Arbeit. Links Leader Bert Joris. (Bild: Rolf Müller)
Die Gottgeliebten stammen aus dem weitestgehend vereinigten Euroland mit sechs Deutschen, fünf Schweizern, vier Österreichern, einem Holländer und einem Belgier. Doch aber: Wer zum Teufel sind die Götter? Es sind dies der Bandleader Bert Joris und der künstlerische Festivalleiter, Roman Schwaller (es handelt sich bei der ganzen Sache also um eine Art Anamnese: mit ihm und in ihm und durch ihn...). Soweit, so gut. Nun kanns losgehen.
Da sitzen sie also immer noch. Und sie proben seit Mittwoch täglich morgens und mittags ausgedehnt und konzentriert für die grosse Gala Night Samstagabend ab 19 Uhr - dann, wenn die pompöse Jazzmusik in den Saal des Stadtcasinos Frauenfeld branden wird. Zum Besten werden ausschliesslich Kompositionen und Arrangements von Bert Joris gegeben, die „von Jahr zu Jahr anspruchsvoller werden“, wie Trompeter Dani Schenker lapidar anmerkt, „Wir sind wirklich am Proben.“
Bert Joris ist in Jazzerkreisen kein unbekannter Gottgöttervater. Er leitete schon etliche Big Bands, unter anderem auch diejenige der „Swiss Jazz School“ Bern, in der einige der Musikerhelden ihre Sporen abverdient haben. Wer die Gala-Abende von „generations“ schon je besucht hat, der weiss, dass die Qualität nicht von Pampers ist – seien wir einmal ernst und sagen: Auch die Joris-Big-Band verspricht exquisiten, höchststehenden, sphärisch klingenden und brachial schmetternden Sound.
Mit Brütsch durchs "generations14"Jazz-Aficionado Thomas Brütsch ist unser Mann am "generations14". Er hat sich seine persönliche Konzertagenda zusammengestellt, die hier versehen mit vielen Tipps publiziert ist. (rom) |
Die Proben finden hinter verschlossenen Türen statt. Dennoch hatte unser Fotograf (diesmal sogar der Redaktionsleiter) einen Wimpernschlag lang Gelegenheit, am Elysium zu schnuppern und ein Bild der Helden in Freizeitkleidung zu machen. Aber am Samstag dann! Dann stehen die Helden geschalt, geputzt und gestriegelt auf der Bühne. Die Saxophonisten in der vordersten Reihen werden sich nicht über die lauten – und manchmal triefenden – Posaunenfanfaren beschweren... Und die Posaunisten werden sich ihrerseits nicht über die lauten Fäden der Trompeter in der hintersten Reihe beklagen. Und das Publikum: Es wird entzückt sein vom Elysium der Jazzmusik und geläutert und frohlockend einherschreiten.
Hören wir jetzt auf mit dem griechischen Sagentum und der religiösen Verklärerei. Jazz kommt nicht aus dem alten Athen. Jazz ist überall! Nur: was sagt Bert Joris, auf die Frage, wie er mit dem Fortschreiten der Proben zufrieden sei? Er zuckt mit den Schultern, lacht verschmitzt, nickt kurz und meint: „Yeah. The cats are great.“ Sowieso. Bert Joris ist kein Mann der meisten Worte. Aber er weiss haargenau, was er will.
Also: Hingehen! Nicht verpassen! Und wenn er nicht beschäftigt ist, dann können Sie auch den Frauenfelder Pepe Lienhard antreffen. Er ist bekanntermassen auch ein Göttervater dieser Sparte.
***
Weiter Artikel zum Thema
Die jungen Wilden - thurgaukultur.ch vom 2.10.2014
Jazz auf dem Lande - thurgaukultur.ch vom 1.10.2014
Very saxy - thurgaukultur.ch vom 30.09.2014
"Jazz ist hartes Brot" - thurgaukultur.ch vom 29.09.2014
Jazz mit Fleisch dran (Clubbing) - thurgaukultur.ch vom 28.09.2014
Bass erstaunt (Eröffnung) - thurgaukultur.ch vom 28.09.2014
Schwaller und Schwaller - thurgaukultur.ch vom 27.09.2014
"Generations" in Frauenfeld, ein Geheimtipp - Journal 21 vom 22.09.2014
Welches Schweizer Niveau? - thurgaukultur.ch vom 26.08.2014
Brütschs Jazz-Agenda - thurgaukultur.ch vom 26.08.2014
generations 2012 im Tagebuch - thurgaukultur.ch vom 4.10.2012
Bekenntnisse zum Jazz - thurgaukultur.ch vom 26.09.2012
***
Programm und Informationen zum "generations14" hier
Ähnliche Beiträge
Lametta mit Pfiff
Seit 21 Jahren gibt es das Blechbläserquintett Generell5. Endlich haben sie es geschafft, ihr erstes Weihnachtsprogramm „O Tannenbaum“ auf die Bühne zu bringen. mehr
Heisse Musiktipps für kalte Tage
Klangpause gefällig? Erholung vom Besinnlichkeits-Stress? Oder, wer braucht gerade gute Musik und ein Weihnachtslachen? Hier sind die Konzertempfehlungen unserer Musikkritikerin bis Weihnachten. mehr
«Eine Knochenarbeit, die mich bereichert!»
Wie wir arbeiten (4): Andrin Uetz ist unser Experte für Pop- und Jazzmusik. Hier beschreibt er nach welchen Kriterien er Projekte bewertet und was das mit seiner eigenen Erfahrung zu tun hat. mehr