von Manuela Ziegler, 10.09.2014
Entrückte Gegenwart
Die Frauenfelder Fotografin Simone Kappeler erhielt den diesjährigen Konstanzer Kunstpreis. „Auftauchen im Bild“, eine Ausstellung im Kunstverein, offenbart die besondere Poesie Ihres Schaffens.
Manuela Ziegler
Ein Junge badet im grünlich schimmernden Wasser, Lichtreflexe scheinen auf seinem nackten Oberkörper zu tanzen. Fünf Fotos hängen im Flur des Kunstvereins. Sie zeigen nur den Jungenkörper, sein Kopf ragt über die Wasseroberfläche hinaus. Buchstäblich ein „Autauchen im Bild“, wie es der Ausstellungstitel verheisst.
Die ungewöhnlichen Ansichten entstanden 2013 und heissen lapidar „Schwimmer“. Dessen Bewegungen sind fast spürbar, wie energetisch aufgeladen, und doch von einer entrückten Stille. Diese zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk der Thurgauerin Kappeler.
Spontan und unscharf
Eine eigentümliche Lautlosigkeit herrscht auch in den Alltagsszenen, die während einer Japanreise entstanden. Die zehn Bilder hängen an der südlichen Wand des Grossen Saals. „dazwischen – in between“ heisst die Serie aus 2009: Zwei Frauen in einer Autogarage, eine Straßenszene, ein Blick aus dem Fenster bei Nacht... Die zehn fotojournalistischen Arbeiten leben von ihrer Momenthaftigkeit, sie wirken entrückt und präsent zugleich.
Es sind Schwarzweissfotografien mit unscharfen Bildrändern, charakteristisch für die „Diana“, eine einfache, amerikanische Billigkamera. Sie begleitet die Fotografin „wie eine Freundin“. Und sie zeigt eine Facette von Kappelers fotografischer Technik. Die unterschiedlichen Werkgruppen der Schau, von der Künstlerin selbst mit Bezug zum Bodenseegebiet ausgewählt, spiegeln ihren technischen wie stilistischen Facettenreichtum.
Aus der Serie „dazwischen – in between“ (Ausschnitt). (Bild: Simone Kappeler)
So besticht auch die Serie „Park“ (2010 und 2012) an der westlichen Wand durch ihre Unschärfe. Die drei grossformatigen quadratischen Farbfotografien zeigen barocke Gärten. Doch es sind nicht wie bei der Japan-Serie spontane Schnappschüsse, sondern kalkulierte Lichtstimmungen in Blau. Märchenhaft nimmt sich darin ein weisser Pfau vor blau-violettem Abendhimmel aus, ein malerisches Farbfoto.
Hoch kalkuliert sind auch die folgenden Arbeiten, wiederum in Schwarzweiss mit dem Titel „Psyche“. Halbakte von Frauen, schier greifbar in ihrer weichen Sinnlichkeit und doch wie nicht von dieser Welt. Da ist zum Beispiel „Blanche mit Saibling“, hell ausgeleuchtet die weisse Frauenbrust vor dem tiefschwarzen Hintergrund. Zwischen ihren Brüsten hält sie mit den Händen den Fisch. Im gleissenden Licht von oben gleicht sie einer Traumgestalt. Das Spiel mit Licht reizt Kappeler. Es gehe ihr darum, das menschliche Sehvermögen zu erweitern.
Voller Rätsel
Das gelingt auch mit dem völlig in Rot getauchten Bild des Nussbaumersees (2007). Es zeigt die Uferzone mit Sprungturm. Die Betrachterin blickt fasziniert auf die sich Ausruhende am unteren Bildrand und rätselt. Das Experimentieren mit Farben, Licht und Schärfen beherrscht Kappeler gekonnt. Sie nutzt dabei kleine, einfache Kameras ebenso wie teure Studiogeräte. Und sie verwendet verschieden lichtempfindliches Filmmaterial, spielt mit Fehlfarben und Überbelichtungen. Auch die skulptural dargestellten „Birnbäume“ (2012/2013) im kleinen Saal unterstreichen die fotografische Versiertheit der Frauenfelderin.
Die Bäume erinnern in ihrem konzeptuellen Ansatz an Bernd und Hilla Becher. Wie Charakterstudien wirken die Solitäre im Bildmittelpunkt: in allen Jahreszeiten aufgenommen, jeder einzigartig, ob knorrig, kahl, verwachsen, in vollem Saft oder in voller Blüte. Es sind diesmal gestochen scharfe Fotos unter Einsatz analoger Kameras.
Im Dienst des Seherlebens
Die Freude am technischen Experimentieren begleitet die Fotografin seit dem Anfang ihrer Karriere. In den Achtziger Jahren kam sie während eines USA-Aufenthalts mit der billigen Lernkamera „Diana“ in Berührung. Seit damals setzt sie deren Mangel, einen Schärfeverlust zum Bildrand hin, ein. Bezüglich Motiven, Stilen und fotografischer Techniken gleicht das Werk der seit dreieinhalb Jahrzehnten tätigen Fotografin der Fotogeschichte selbst.
Der Konstanzer Literaturwissenschaftler Bernd A. Stiegler umschreibt es in Kappelers Publikation „Seile Fluss Nacht“ von 2011 als eines, in dem sich die Geschichte der Fotografie quasi wiederhole.
Konstanzer Kunstpreis für Simone Kappeler
Die 62jährige Simone Kappeler gehört zu den wichtigen Schweizer Fotokünstlerinnen der Gegenwart. In diesem Jahr beliefert die Thurgauerin zehn Ausstellungen, drei davon allein. Eine Galeristin vertritt sie seit 2012 auf renommierten Messen wie der „Paris Photo“ und öffnet ihr den Weg in die internationale Szene. Nach einem Studium der Kunstgeschichte und Germanistik schrieb sie sich 1975 an der Fachklasse für Fotografie an der Schule für Gestaltung in Zürich ein. Während zahlreicher Reisen und im Alltag findet sie seither ihr „Bildmaterial“. Sie verwirklichte fotografische Langzeitprojekte in Frankreich, Graubünden und Japan, hielt sich für Studien in New York auf. Seit 1999 ist sie Dozentin des Fotokurses der Kantonsschule Frauenfeld.
Als erste Fotografin erhielt die Frauenfelderin 2014 den Konstanzer Kunstpreis, getragen von der Stadt und dem Kunstverein, heuer zum 18. Mal vergeben. Er ist mit 8000 Euro dotiert. Der alle zwei Jahre vergebene Preis würdigt Künstler, die im Bodenseegebiet beheimatet sind und deren Werk einen künstlerischen Eigenwert sowie Entwicklungspotential besitzt. Ziel ist es die Bedeutung des Kunstschaffens im Bodenseeraum zu stärken und der Öffentlichkeit besser bewusst zu machen.
***
Weitere Informationen
Die fremde Welt des Nahen - Thurgauer Zeitung vom 3.09.2014
Kunstpreis für Simone Kappeler - thurgaukultur.ch vom 14.04.2014
***
„Auftauchen im Bild – Simone Kappeler“. Kunstverein Konstanz, Wessenbergstrasse 39/41. Öffnungszeiten: Di-Fr 10-18 Uhr Sa/So 10-17 Uhr. Bis 28. September. Öffentliche Führung So. 21. September, 11 Uhr. Lesung von Gianni Kuhn Sa. 27.September, 21 Uhr.
Von Manuela Ziegler
Weitere Beiträge von Manuela Ziegler
- Gemeinsam Druck machen (09.09.2024)
- Ein Prinz erzählt aus seinem Leben (10.05.2024)
- Das unentdeckte Museum (30.04.2024)
- Neue Bilder von der Wirklichkeit (28.02.2024)
- Café mit Kreativkultur (17.09.2015)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kunst
Kommt vor in diesen Interessen
- Fotografie
Ähnliche Beiträge
Erinnerung an Hans Danuser
Hans Danuser, der Wegbereiter der modernen Fotografie in der Schweiz, ist 71-jährig gestorben. arttv.ch erinnert mit einer Reportage von 2017 an ihn. mehr
Die magische Grenze
Der Dokumentarfilmer Friedrich Kappeler hat sein Leben lang auch fotografiert, diese Bilder aber kaum je ausgestellt. Jetzt öffnet das Buch «Im tiefen Thurgau» Einblick in sein Bilduniversum. mehr
Die Aura des Sakralen
Im Rahmen des 500-jährigen Jubiläums der Reformation zeigt das Kulturhaus Obere Stube in Stein am Rhein Arbeiten von Kris Martin und Ola Kolehmainen. mehr