Seite vorlesen

von Christian Brühwiler, 19.05.2013

Macht so viel Kunst auch Spass?

Macht so viel Kunst auch Spass?
Ittinger Pfingstkonzerte: Probieren für das Abendkonzert vom Samstag. „Das von Heinz Holliger (vorne links) angeführte, mit vielen jungen Musikern besetzte Ensemble agierte unglaublich lebendig und mit viel Sinn für gestalterische Details, die nicht zuletzt in der Gestik und Mimik ihren adäquaten Ausdruck fanden“, schreibt Christian Brühwiler zur Aufführung. | © Brigitta Hochuli

Ittinger Pfingstkonzerte 2013: Der Eröffnungsabend vom Freitag und das Abendkonzert vom Samstag hatten nebst höchster Qualität auch Unterhaltungswert.

Christian Brühwiler

Der Rahmen bis hin zum Programmheft ist schlicht und gediegen, das Thema „Erinnerung-Abschied“ ernst und beziehungsreich und die Werke aus Vergangenheit und Gegenwart zählen nicht gerade zu den eingängisten: Der Anspruch ist hoch, und der Schreibende ertappte sich bei der Frage, ob denn so viel Kunst auch ein wenig Spass machen darf.

Schon die ersten Takte des Eröffnungsabends, über den hier zusammen mit dem Abendkonzert vom Samstag die Rede ist, belehrte ihn eines Besseren. Wolfgang Amadeus Mozarts Bläserserenade KV 375 war angesagt. Das von Heinz Holliger angeführte, mit vielen jungen Musikern besetzte Ensemble agierte unglaublich lebendig und mit viel Sinn für gestalterische Details, die nicht zuletzt in der Gestik und Mimik ihren adäquaten Ausdruck fanden. Das Auge hört mit und scheint viel zum Verständnis der Musik beizutragen. Die geschmeidigen, schlangengleichen Melodien und Bewegungen des ersten Klarinettisten, das energische Aufstampfen Heinz Holligers bei rhythmischen Akzenten und das fröhliche Mitwippen des Rauschebarts von Kontrabassist Christian Sutter, der als einziger Streicher das Bassfundament verstärken durfte, illustrierten das musikalisch-dramatische Geschehen auf unterhaltsamste Weise.

Im Zeichen des Altmeisters

Der erste wie auch der zweite Abend standen ganz im Zeichen des Altmeisters Heinz Holliger, der als Oboist, Dirigent und nicht zuletzt als Komponist zu erleben war. Zwei Solowerke für Kontrabass in Wiener Stimmung und Waldhorn waren am Eröffnungsabend zu hören. Beide Werke Holligers loten die Ausdrucksmöglichkeiten der Instrumente auf virtuose und überraschende Weise aus. Beide Werke leben auch von klanglich extrem gegensätzlichen Ebenen.

„Preludio e Fuga“ für Kontrabass entwirft eine Klanglandschaft voller Flageoletklänge, sehr dicht, fragil und flirrend. Wie bei einer dünnen Eisdecke, die immer wieder einbricht, öffnen sich Einblicke in die Tiefe, in Abgründe, die sich rhythmisch zuweilen bedrohlich steigern. Edicson Ruiz erwies sich als fesselnder Interpret, der nicht nur mit stupender Technik, sondern auch mit faszinierendem Rhythmusgefühl brillierte. In „Cynddared – Brenddwyd“ für Horn sind es die extrovertierten und schmetternden Töne, die den gestopften, gleichsam zurückgehaltenen gegenübergestellt werden. Holliger assoziiert diese Gegensätze mit Wut und Traum, die der Schweizer Hornist Olivier Darbellay souverän und mit grossem Atem gestaltete. Die leisen Töne verführten das Publikum dazu, die Ohren ganz fest zu spitzen, berückend, intensiv.

Fremdkörper

Schwieriger war es, sich auf die beiden folgenden kürzeren Stücke von Sándor Veress und György Kurtág einzulassen. Glücklicherweise ist ja auch Neue Musik sehr verschieden, doch der Hörer braucht häufig eine gewisse Zeit, sich in einer Klangsprache einzuleben. Von der Thematik her machte „Memento per viola e contrabasso – In memoriam martyrii Emericus Nagy et Paulus Maléter“ zweifellos Sinn und Claudio Veress und Christian Sutter interpretierten das Werk auch sorgfältig und eindrücklich. Die zwölftönige Komposition mit ihren bewusst schrill und schroff gesetzten Dissonanzen blieb aber im Zusammenhang des Abends ein Fremdkörper. Etwas verloren wirkte auch György Kurtágs „Message consolation à Christian Sutter alio modo“. Die für Kurtág typische Miniatur, bei der wie bei einem Mobile jeder Ton bewusst und austariert einem anderen entgegengesetzt wird, hatte nicht den Raum und die Zeit, um sich zu entfalten. Da wäre weniger wohl mehr gewesen.

Ein kleines Wunder

Zu einem unerwarteten Höhepunkt geriet hingegen Louis Spohrs Doppelquartett Nr. 1 d-Moll op. 65, mit dem der Eröffnungsabend ausklang. Spohr, selbst exzellenter Geiger, zeigt sich als hochmusikalischer Komponist. Die Komposition bleibt in jedem Moment spannend, die innere Entwicklung erscheint immer logisch und zwingend. Das Ensemblespiel, das von Erich Höbarth als erstem Geiger mit knapper, aber ausserordentlich präziser Gestik angeführt wurde, war schlichtweg begeisternd. Als Fels in der Brandung bildete er den Bezugspunkt, um den herum die jungen Ensemblemitglieder ihren jeweiligen Part mit umso grösserer Freiheit ausschmücken konnten. Dass dies alles dann doch in der Summe so kompakt und wie aus einem Guss wirkt, grenzt an ein kleines Wunder.

Samstagabend, zu Beginn blass

Das zweite Abendkonzert begann wiederum mit einem traditionellen Werk. Heinz Holliger interpretierte Johann Sebastian Bachs Konzert A-Dur für Oboe d‘amore und Streicher BWV 1055. Eindrücke sind subjektiv, aber rückblickend wirkt das Oboenkonzert trotz aller Klangkultur und aller musikantischen Qualität seltsam blass. Vielleicht liegt es daran, dass die Konzertform, die Solo-Tutti-Konstellation gegenüber allen anderen Kompositionen an beiden Konzertabenden spannungsärmer und berechenbarer wirkt. Vielleicht ist sie einfach zu konventionell gegenüber den anderen aufregenden Hörabenteuern.

Schlag auf Schlag

Und diese Hörabenteuer folgten Schlag auf Schlag. Pierre Boulez „Mémoriale“ entführte in eine Klangwelt, die sich sehr organisch entfaltete und doch immer transparent blieb. Durch ihren starken Bezug auf wenige Leittöne wirkte sie aber auch statisch, in sich ruhend. Sándor Veress Klangsprache konnte sich nun, anders als am Vortag, angemessen entfalten. Seine „Elegie“ nach einem mittelalterlichen Gedicht des Minnesängers Walter von der Vogelweide hinterliess starken Eindruck. Der Bariton Robert Koller, stimmlich nicht ganz optimal disponiert, gestaltete den Text natürlich und einnehmend. Im Zusammenspiel mit dem Streicherpart, der den Text auf präzise Weise illustriert, entstand eine expressive, berührende Interpretation.

Erstaunlicher Applaus für Dutilleux

Expressiv wirkten auch Henri Dutilleux‘ „Les Citations“. Das aussergewöhnlich besetzte Diptychon beginnt mit einer kurzen Exposition für Oboe und Schlagzeug, die im zweiten Teil um das Cembalo und den Kontrabass erweitert wird. In der Folge entwickelt sich eine Musik, die jedem Instrument viel Raum lässt und die durch ihren Farbenreichtum begeistert. Die Individuen auf der Bühne entwickeln ihre Gedanken, ringen um ihre Aussage und scheinen eine Sprache für das Unaussprechliche zu suchen. Erstaunlich war, dass gerade dieses Stück vom Publikum mit enthusiastischem Applaus aufgenommen wurde. Aber „Les Citations“ scheinen eine diskursive Qualität zu haben, die gefangen nimmt und unmittelbar anspricht.

Sorgfalt, Hingabe, Sinn fürs grosse Ganze

Mit Witold Lutoslawskis „Trauermusik für Streichorchester in memoriam Béla Bartók“ schliesslich ging der Samstagabend zu Ende. Lutoslawskis „Trauermusik“ zählt wohl zu Recht zu den eindrücklichsten Kompositionen des grossen polnischen Komponisten. Die wie ein Trauerzug gemessen beginnende zwölftönige Komposition entwickelt eine gewaltige Suggestivkraft. Bei aller expressiven Steigerung, Verdichtung und Entwicklung zieht sich der Grundpuls als eine Art rhythmisches Leitmotiv durchs ganze Werk. Einmal mehr gilt es die Interpretation zu rühmen.
Es ist eindrücklich, mit welcher Sorgfalt und Hingabe und mit welchem Sinn fürs grosse Ganze an den Ittinger Pfingstkonzerten musiziert wird. Exemplarisch verkörpert dies wohl Heinz Holliger selbst, als Dirigent, dem die grossen dramatischen Gesten vollkommen fremd sind, als Interpret, der höchst musikalisch und quicklebendig agiert, und als Komponist mit ungebrochener Neugier und Experimentierlust.

***

Beitrag auf art-tv.ch

TZ-Artikel von Martin Preisser

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Musik

Kommt vor in diesen Interessen

  • Kritik

Werbung

Der Kulturpool: Highlights aus den Regionen

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

«Kultur trifft Politik» N°2

„Die Zukunft bauen – wie Stadt-/Gemeindeentwicklung und Kultur voneinander profitieren können.“ Eine Veranstaltung zur Förderung des kulturpolitischen Diskurses. Di. 13.5.2025, Apollo Kreuzlingen. Jetzt anmelden!

Ähnliche Beiträge

Musik

Amerikas bunte Klangseite

Dai Kimotos Swing Kids und das Jugendorchester Thurgau vereint in einer Konzertreihe: Das klingt nach ganz viel Spass für alle, die dabei waren. Auf der Bühne. Und davor. mehr

Musik

Konstante Veränderungen

Am 27. März spielt das transatlantische Quartett emitime im Rahmen der Release-Tour zu ihrem neuen Album «morfosis» im Kult-X in Kreuzlingen. Für den Schlagzeuger Samir Böhringer ein Heimspiel. mehr

Musik

Zauberhafte Stabmusik

Das Trio Colores um den Thurgauer Schlagzeuger Fabian Ziegler hat mit «En Couleur» ein spannendes, neues Album aufgenommen. mehr