von Brigitta Hochuli, 26.09.2012
Bekenntnisse zum Jazz
Ab Samstag heisst‘s in Frauenfeld „generations“. Unterschiedliche Beziehungen zum Jazz und zum Festival haben Pepe Lienhard, Klaus Hersche und Robert Fürer.
Brigitta Hochuli
1. Auschecken, Wahnsinn, Superchance
✘ Pepe Lienhard, neu-Thurgauer, empfiehlt im Editorial zum Programm des Jazzfestivals generations die Duo-Konzerte. „Das ist Musik, die so richtig zum Zuhören einlädt; da kann man die Solisten in Ruhe ,auschecken‘.“
✘ Als Höhepunkt preist er das seit der Auflösung 2010 einmalig wieder auftretende Vienna Art Orchestra (VAO). Mit dieser Wahnsinnstruppe würden die Zuhörer bestimmt eine Sternstunde erleben.
✘ Für junge Jazztalente sei zudem der Masterclass Workshop unter Leitung von Adrian Mears eine Superchance, schreibt Pepe Lienhard. „Ein äusserst wichtiger Beitrag von ,generations‘ für die Förderung und Entwicklung nicht nur der jungen Schweizer Jazzszene!“
2. New York versus saturierte Zürcher
Das Präsidium des Organisationskomitee hat der Festival-Mitbegründer Robert Fürer inne. Er kennt den weltberühmten künstlerischen Leiter und Thurgauer Kulturpreisträger Roman Schwaller seit der Kindheit. Von Schwaller schwärmt übrigens Pepe Lienhard, er habe einmal mehr ein Programm mit modernem Jazz vom Feinsten zusammengestellt.
✘ Vorletztes Jahr wurde auf Empfehlung von Jazzkenner Peter Rüedi der Masterclass-Workshop von 40 auf 25 Teilnehmer reduziert. „Das hat sich sehr bewährt“, sagt Fürer. Deshalb werde weiter so verfahren. The Art oft he Duo gehe aber nicht auf Peter Rüedi zurück, sondern sei die logische Fortsetzung der viermal ausgetragenen Soloreihen.
✘ Noch mehr als Pepe Lienhard sieht Robert Fürer „The Reunion of the VAO“ als Höhepunkt des Programms. Es sei das Highlight 2012 gemessen an allen Jazz-Events der Schweiz. „So etwas hat es dieses Jahr noch nie gegeben und wird es dieses Jahr nicht mehr geben, selbst wenn man über die Grenzen unseres Landes hinausblickt.“
✘ Im Medienspiegel der generations-Webseite fällt auf, dass Artikel nationaler Medien über das Festival 2010 gänzlich fehlen. Mangelt es an Ausstrahlung? „Es mangelte nicht an Ausstrahlung, sondern an der Rezeptionsbereitschaft der saturierten Zürcher Kulturjournalisten“, sagt Robert Fürer. Interessant sei: „In den Clubs in N.Y. werde ich auf ,generations‘ angesprochen. In der Tagi-Redaktion nimmt man uns nicht zur Kenntnis.“
✘ „generations“ ist ganz auf den Austausch unter den Musikern und ihre Stil- und Altersunterschiede sowie die Förderung der Jungen ausgerichtet. Aber auch unter den Zuhörern herrsche Vielfalt. „Wir haben ein altersmässig sehr gemischtes, in den letzten Austragungen zunehmend jüngeres Publikum.“
3. Lieber Rocker, Crooner, Gören, Countryboys
Die Kulturstiftung des Kantons Thurgau unterstützt das „generations“ mit 80‘000 Franken. Klaus Hersche, deren Beauftragter, legt nach eigenen Worten ein „Bekenntnis“ der etwas anderen Art ab:
✘ „Ich würde lügen, wenn ich mich als falschen Liebhaber des Jazz in die Fangemeinde dieses Musikgenres einschleichen würde. Offengestanden, mir waren dröhnende Rocker, heisere Singer/Songwriter, unwiderstehliche Crooner, schreiende Gören und sentimentale Countryboys stets lieber als die noch so virtuosen und kreativen Meister des Jazz, ob sie nun angenehm mainströmig oder ungehemmt freestylig daherkommen.
✘ Aus diesem Grund fällt es mir schwer, aus persönlicher Sicht etwas erfrischendes zum bevorstehenden Internationale Jazztreffen generations zu sagen. Da möchte ich vielmehr verweisen auf den schönen Willkommensgruss des Altmeisters Pepe Lienhard, der es auf den Punkt bringt, worum es hier in Frauenfeld geht, nämlich ,nur um Jazz‘.
✘ Womit wir wieder bei meinen tief verwurzelten und unkontrollierbaren Ressentiments gegenüber dieser Musikgattung wären, die doch aus unserer zeitgenössischen und universellen Musikkultur nicht wegzudenken ist und sich, gerade in der Schweiz, einer erstaunlichen Produktivität erfreuen darf. Und auf dieser lebendigen Szene darf ja das 8. generations-Festival mit seinen Masterclass Workshops und Jam Sessions aufbauen und deshalb unterstützt auch unsere Kulturstiftung dieses Treffen.
✘ So bleibt mir nichts anderes übrig, als mich am eigenen Schopf zu packen, mich neugierig auf einige Konzerten im Eisenwerk oder in den Jazzclubs einzulassen oder dem Come-back des legendären Vienna Art Orchestra beizuwohnen und zu hoffen, dass mich im reiferen Alter der Virus des Jazz doch noch anstecken möge. Und deshalb möchte ich mich Pepe anschliessen: Enjoy ,all that jazz‘ in Frauenfeld!“
***
www.generations.ch: 29. September bis 6. Oktober, Frauenfeld
*****
Und für jene, die jetzt noch weiter schmökern möchten, hier die Informationen der Festivalleitung zu den „konzertanten Höhepunkten“:
Eröffnungskonzert mit rusconi
Zum zweiten Mal findet in der Aula der Kantonsschule am Samstag, 29. September, 19 Uhr, das Eröffnungskonzert statt. Diesmal mit dem Schweizer Trio «rusconi», das bereits seit einigen Jahren internationalen Ruhm erntet. Und dies, nachdem Pianist Stefan Rusconi, Bassist Fabian Gisler und Drummer Claudio Strüby einst selbst Teilnehmer des «generations» Masterclass Workshops waren (Rusconi und Gisler auch Mitglieder der entsprechenden Förderpreisband). Die drei Jungstars haben also vor Jahren am «generations» einiges an Rüstzeug für ihre internationale Karriere in den Rucksack gepackt. rusconi besticht durch gnadenlose Respektlosigkeit gegenüber den Traditionen des Jazz und paart den Drive einer Rockband mit der Sensibilität eines Jazztrios.
«generations Unit» & Carte Blanche für Adrian Mears
Am Freitag, 5. Oktober, 19 Uhr wird im Grossen Saal des Eisenwerks die frisch gewählte «generations Unit 2012» unter der Leitung von Adrian Mears vorgestellt. Im zweiten Set präsentiert «generations» den langjährigen musikalischen Leiter des Masterclass Workshops Adrian Mears mit seiner aktuellen Band «New Orleans Hardbop».
«The Reunion of the Original Vienna Art Orchestra»
Im Jahr 2010 musste Mathias Rüegg aus finanziellen Gründen das Ende des weltberühmten Vienna Art Orchestra bekannt geben. Ein Schock für die Szene. Die legendäre Bigband erlangte in den frühen 1980er-Jahren Bekanntheit, initiiert durch einen Auftritt im März 1980 beim Jazzfestival Zürich, bei dem auch die Schallplatte «Concerto Piccolo» mitgeschnitten wurde, die im gleichen Jahr den Preis der Deutschen Schallplattenkritik erhielt. Die für Bigbands unkonventionelle Originalbesetzung hat Rüegg bis Ende 1989 beibehalten; danach hat er die Band umstrukturiert und in etwas konventionellere Bahnen geführt. Doch auch so blieb das Vienna Art Orchestra einer der bedeutendsten europäischen Klangkörper im grossorchestralen Jazz.
Roman Schwaller, künstlerischer Leiter von «generations», war von 1979 bis 1989 selbst Mitglied des Vienna Art Orchestra. Es gelang ihm, mit Mathias Rüegg eine einmalige «Reunion» anlässlich des «generations» 2012 zu vereinbaren. Mit dabei sind fast alle Mitglieder der Besetzung aus den 80er-Jahren wie Lauren Newton, Wolfgang Puschnig, Harry Sokal, Roman Schwaller, Christian Radovan, Jon Sass, Herbert Joos, Woody Schabata, Heiri Känzig, Joris Dudli, Wolfgang Reisinger und für die zwei leider verstorbenen Bumi Fian und Hannes Kottek die Trompeter Thomas Gansch und Juraj Bartos. Diese Besetzung hatte in den 1980er-Jahren auch in der Schweiz grossen Erfolg und war des öfteren bei den grossen Festivals zu Gast. Man darf sich darauf freuen, dass die kurzfristige Wiedervereinigung viele Fans nach Frauenfeld führen wird. (Samstag, 6. Oktober, 19 Uhr, Stadtcasino Frauenfeld)
Änderungen im Ablauf
Die «generations Unit» wurde 2010 erstmals nicht bereits am Dienstag-, sondern erst am Mittwochabend gewählt. Dies gibt den Dozenten die Möglichkeit, alle Studierenden mindestens einmal in einem Workshop gehört zu haben – eine wichtige Voraussetzung für eine qualifizierte Wahl. Von Samstag bis Mittwoch finden im Jazzclub Schlosskeller die Jam Sessions der Masterclass-Workshop-Teilnehmenden statt. Die Sessions sind ein wichtiger Teil des Workshops. Hier können die Musikerinnen und Musiker unbeschwert aufspielen, befreit vom Druck des täglich Geforderten. Am Donnerstag, 4. Oktober 2012, findet dann das Abschlusskonzert des Masterclass Workshops im Jazzclub Schlosskeller statt, an dem sämtliche Masterclass-Workshop-Teilnehmenden mit ihren Workshop-Bands auftreten.
«The Art of the Duo» and more ...
Seit 2002 präsentierte «generations» nicht nur eine sehr erfolgreiche Piano Solo-Konzertreihe im VorStadttheater des Eisenwerks Frauenfeld, sondern die Pianistinnen und Pianisten am gleichen Abend auch mit ihren aktuellen Trios in der Eisenbeiz (die Piano Solo- Konzerte wurden jeweils von Radio DRS 2 mitgeschnitten). Das Fachmagazin Jazz‘N‘More hat diese Reihe einmal als „geniales Festival im Festival“ bezeichnet. Seit 2010 wird die Reihe nun auf «The Art of the Duo» erweitert und intensiviert.
Weiterhin stellt «generations» hier Schweizer Künstlerinnen und Künstler quasi mit einer «Carte Blanche» vor: Die Basler Sängerin Lisette Spinnler im Duo mit dem Pianisten Christoph Stiefel, die Thurgauer Trompeterin Hilaria Kramer mit dem Schweizer Grandseigneur des Jazzschlagzeugs Daniel Humair, im Fahrtwind des «old» Vienna Art Orchestra die amerikanische Sängerin Lauren Newton mit dem Frauenfelder Künstler und Schlagzeuger Mark Huber sowie der Stuttgarter Maler, Trompeter und Flügelhornist Herbert Joos mit seinem Duopartner, dem slowakischen Gitarristen und Jazzprofessor Frank Kuruc. In der Eisenbeiz treten die Künstlerinnen und Künstler am gleichen Abend entweder mit ihren aktuellen Bands oder speziell für diesen Event zusammengestellten Formationen auf.
Die Szene in den Clubs Terrasse, Sternen und Piano Bar
In drei weiteren Clubs präsentieren sich internationale Acts. Im Jazzclub Terrasse das Quintett des jungen Wiener Trompeters Daniel Nösig mit dem slowenischen Tenorsaxophonisten Jure Pukl sowie die ebenfalls in Wien wohnhafte brasilianische Jazzsängerin Jacqueline Patricio da Luz mit ihrer Band; im Jazzclub Sternen die hochkarätig besetzte Band des grossartigen amerikanischen Trompeters John Marshall mit Johan Hörlén (as) und Grant Stewart (ts), die von den drei Masterclass Dozenten David Hazeltine (p), Peter Washington (b) und Louis Hayes (b) begleitet werden. Und im Jazzclub Piano Bar präsentieren sich nach wie vor klassische Piano Trios: Die ersten vier Tage das David Hazeltine Trio und ab Mittwoch 3. Oktober 2012 «Triple Ace» mit Oliver Kent (p), Uli Langthaler (b) und Dusan Novakov (dm).
Kurzum
«generations» 2012 behält sein bewährtes Dreisäulenkonzept bei: Masterclass Workshops, Clubs, Konzerte. Dem Organisationsteam ist es einmal mehr gelungen, eine äusserst interessante Mischung aus arrivierten und jungen Musikerinnen und Musikern zusammenzustellen, die den modernen zeitgenössischen Jazz in vielen Facetten und Variationen präsentiert, ohne die Tradition aus den Augen zu verlieren.
Radio DRS 2 wird «The Art of the Duo», die Konzerte im Grossen Saal des Eisenwerks und die TKB Gala Night mit der Reunion des Vienna Art Orchestra im Stadtcasino Frauenfeld aufzeichnen. (pd)
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