von Jürg Schoop (1934 - 2024), 14.04.2014
VideOst: Stärker als die Titanic
Eine Handvoll Unentwegter, die sich immer noch begeistert engagieren können und die beiden obligat abwesenden Mitglieder schon gar nicht mehr vermissen, fanden sich Anfang April in der Walzmühle Frauenfeld zur Generalversammlung des Vereins videOst, ursprünglich ein Verein für Videokünstler und Videokünstlerinnen, zusammen. Das Handtuch werfen will man nicht!
Jürg Schoop
Dem Verein war es vor 20 Jahren ein Herzensanliegen, einen Schnittplatz zu annehmbarem Preis zur Verfügung zu stellen, denn Einzelne konnten sich einen solchen professionellen Analog-Schnittplatz nicht leisten. Er erforderte damals einen finanziellen Einsatz, der sich gegen die 60'000 Franken-Marke bewegte.
Hermann Bürgi sei Dank
Möglich wurde dieser Schnittplatz im Frauenfelder Walzmühle-Areal durch das Verständnis und die tatkräftige Unterstützung des damaligen Regierungsrates unter der Anführung von Hermann Bürgi, was bewundernswert war, wenn man den Stellenwert bedenkt, den die Videokunst im ländlichen Kanton genoss. Eine Illustration dazu ist schon die Tatsache, dass sich im Verlauf der vielen Jahre eine einzige aussen stehende Person an den Verein mit seinem gesammelten Fachwissen und vielen erfahrenen Persönlichkeiten gewandt hat. Man ist sich einig: Videos machen und beurteilen, das kann jeder... Aber das steht vermutlich auf einem andern Blatt als die Tatsache, dass Video auch ein anspruchsvolles Kunstobjekt sein kann, das sich in den letzten Jahren rasant entwickelt hat.
In den ersten Vereinsjahren hatten sich mehr denn ein Dutzend Künstler und Künstlerinnen eingeschrieben und den Schnittplatz benutzt, manche davon haben sich national positioniert, andere haben Videokunst und Kunst überhaupt – wie es sich im Landkanton gehört – im Nebengeschäft betrieben.
Nicht gestohlen - kein Wunder!
Die Digitalisierung von Video und Fotografie hat in den vergangenen Jahren die Grundbedingungen dieser Medien total verändert, wie sich das wohl kaum jemand vorgestellt hat. Ein bezeichnendes Licht darauf wirft das Vorkommnis, das natürlich an der Generalversammlung – nebst all dem Geschäftlichen – auch zur Sprache kam, dass im Schnittstudio eingebrochen, aber nichts, rein nichts gestohlen wurde. Kein Wunder, - wer, ausser dem Schrotthändler, interessiert sich noch für eine solche Anlage? Obschon manches erneuert und ergänzt wurde, interessieren sich nur noch wenige und immer seltener dafür. Mit 2000 Franken kann man heute einen digitalen Schnittplatz einrichten, dessen technische Ergebnisse auch einem professionellen Analogie-Mastering der 90er-Jahre mindestens ebenbürtig sind.
Die Chance des Vereins, wenn er weiterleben will, kann nur darin bestehen, dass man Know-how austauscht und gemeinsam Ideen findet, wie und warum man Video in die Gesellschaft einbringen soll. Und selbstverständlich bleibt immer die Hoffnung, ein Youngster könnte das Blut auffrischen.
Eifrige Ideensuche
Die verbliebene Resttruppe, ein richtiges Widerstandsnest, will das Handtuch nicht werfen und scheint stärker als die Titanic. Mit den jetzigen Co-Präsidenten Karl Steffen und Tom Lang, dem Wiler Renato Müller, den beiden Künstlern Doris Naef und Marcel Hollenstein wird eifrig nach Ideen gesucht und auch nach Stätten, an denen Projekte verwirklicht werden können. Das wird leider immer schwieriger, da diese eigentlich provinzielle Stätten zunehmend von Kuratoren und Kuratorinnen bevölkert sind, deren Ehrgeiz über das Ländliche hinausgeht.
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