von Tobias Rüetschi, 31.10.2016
Schlag auf Schlag in Weinfelden
Sechzehn Perkussionisten aus aller Welt haben letztes Wochenende ihr Wissen an die Teilnehmer des dritten 'International Drums & Percussion Camp' in Weinfelden weitergegeben. Unter den Dozenten waren auch die iranische „Daf"-Spielerin Asal Malekzadeh oder der 78-jährige Vibraphonist Mike Manieri.
Von Tobias Rüetschi
Es ist Samstag Nachmittag in Weinfelden. Die Sonne fängt langsam an, den Hochnebel zu durchdringen und eigentlich sollten die Schulzimmer der Sekundarschule Pestalozzi ja gerade leer sein. Doch trotzdem ist in einem der Zimmer die Luft gerade ziemlich dick. Die Stühle eng zusammengerückt, sitzen rund dreissig Jugendliche und junge Erwachsene im grossen Halbkreis, konzentriert und völlig still.
Die aufmerksamen Blicke richten sich aber nicht auf mathematische Formeln auf der Wandtafel, sondern auf das kleine Schlagzeug in der Mitte des Saales. Und dahinter sitzt kein Sekundarschullehrer, sondern der niederländische Jazzdrummer Wim de Vries. Mit sechzehn Jahren schon hat er am Konservatorium von Arnheim angefangen, Schlagzeug zu studieren. Nun sitzt er hier in Weinfelden und zeigt den Teilnehmern der Masterclass des dritten 'International Drums & Percussion Camp' simple aber effektive Techniken und Tricks des Jazzspiels. Dazwischen lockert er immer wieder mit seinen Anekdoten aus seiner Studienzeit die Stimmung auf.
Gespannte Atmosphäre: Einblick in einen der vielen Workshops vom Wochenende. Bild: Tobias Rüetschi
Noch am gleichen Nachmittag gibt auch die Iranische Perkussionist Asal Malekzadeh ihren Masterclass-Workshop. Ihr Instrument ist das „Daf", eine traditionelle iranische Trommel. Es ähnelt einem Tamburin, unterscheidet sich davon aber durch seine Grösse und den kleinen, hinter dem Fell hängenden Metallringen, die bei jedem Schlag mitklingen. „Das Daf ist eigentlich ein sehr günstiges Instrument, weshalb es im Iran sehr häufig gespielt wird. Die meisten Leute haben eines zu Hause. Auch ich habe schon als kleines Kind angefangen, es zu spielen", sagt Malekzadeh. Später habe sie dann angefangen, sich mit klassischer Musik zu beschäftigen, was ihre Liebe zur Perkussion noch verstärkte. Heute unterrichtet sie Musik an der Universität von Teheran. „Im Unterschied zu meinem Heimatland habe ich hier in Weinfelden etwas kleinere Klassen, aber ich schätze diese Erfahrung sehr."
Hypnotische Wirkung der Rhythmen
Es ist gleich offensichtlich, dass die 'Queen of Daf', wie sie in Perkussionskreisen genannt wird, den Umgang mit Schülern gewohnt ist. In ihrem eineinhalbstündigen Workshop geht es keine zwanzig Minuten, und schon können die Teilnehmer einfache Rhythmen auf dem Daf nachspielen. „Tom, Bak, Chap, Tom, Bak" - wie ein Mantra wiederholen die Masterclass-Teilnehmer beim Spielen jeweils die Namen der drei Basisschläge. Die hypnotische Wirkung wird noch verstärkt durch Asal Malekzadehs flüssige und extrem schwungvollen Handbewegungen, bei jedem Schlag scheint es kurz so, als würde das fragile Instrument gleich aus ihrer Hand gleiten – was aber natürlich nie passiert.
Hörprobe: So klingt Asal Malekzadeh mit ihrem Daf.
Man merkt, Vielfalt wird beim Programm des 'International Drums & Percussion Camp" gross geschrieben. Neben den Masterclasses werden noch drei andere Kurse angeboten, darunter beispielsweise auch das „Wind-Camp" für Perkussionisten von Musikvereinen. Die insgesamt sechzehn Dozenten kommen aus aller Welt und spezialisieren sich auf verschiedene Instrumente und Bereiche der Perkussion. Unter ihnen befindet sich auch der preisgekrönte amerikanische Jazzvibraphonist Mike Manieri. Mit seinen 78 Jahren ist er eindeutig der älteste Teilnehmer des Camps. Wie die meisten Dozenten war er auch schon letztes Jahr dabei und scheint es genossen zu haben: „Mike ist mittlerweile schon so lange Musiker, er kommt nur noch zu solchen Veranstaltungen, wenn es ihm auch gefällt. Er ist eine lebende Legende", sagt Samuel Forster, Cheforganisator des Camps. Den Dozenten gefalle vor allem die familiäre Atmosphäre hier in Weinfelden - es komme nicht selten vor, das einer von ihnen auch mal die Masterclass eines Mitdozenten als Zuhörer besuche. „Wir waren vor dem Festival auch mit den Dozenten noch am Rheinfall, das hat ihnen auch sehr gefallen."
Das Programm soll für jeden Geschmack etwas bieten
Das 'International Drums & Percussion Camp' findet dieses Jahr schon zum dritten Mal statt. Forster, der selber auch Schlagzeuglehrer ist, ist schon seit dem Anfang im Organisationskomitee dabei, seit zwei Jahren als Chef. Er sei ein wenig unverhofft zu dieser Stelle gekommen, aber nutze sie nun, um das Festival seiner Vision entsprechend durchzuführen: „Ich will allen Teilnehmern etwas bieten. Es soll einfach für jeden etwas dabei haben und alle sollen alles ausprobieren können" so Forster.
„Aber beispielsweise eine Masterclass von Russ Miller wäre für jemanden, der zuerst die Basics lernen will, der falsche Ort." Für Einsteiger gäbe es darum den „Youth & Fun"-Kurs, der dieses Jahr sogar ausverkauft ist. „Letztes Jahr gingen diese Kurse leider ein bisschen zu lang. Die Schüler waren am Abend immer zu Müde, um sich noch die Konzerte der Dozenten anzusehen." Dies ist Samuel Forster aber besonders wichtig, weshalb die Workshops dieses Jahr etwas kurzer sind. „Die Kinder sollen am Abend im Thurgauerhof die grossen Schlagzeug-Stars sehen, wie sie ihr Können präsentieren und dann auch einmal auf der grossen Bühne spielen wollen. Es ist wichtig, solche Träume zu haben."
Magische Momente bei den Konzerten der Grössen
Es wäre auch nicht verwunderlich, wenn bei den abendlichen Konzerten bei dem einen oder anderen Nachwuchsperkussionisten der Traum von einer Schlagzeugerkarriere geweckt wurde – vor allem bei magischen Momenten wie am Samstagabend, als nach dem beeindruckendem Set des amerikanischen Drummers Russ Miller zusammen mit Pete Lockett aus England sich Asal Malekzadeh und Conga-Meister Richie Flores ein perkussives Duel liefern – „It's our first time playing together, no rehearsing!", sagt die Iranerin noch fast ein bisschen entschuldigend zum Publikum, bevor die beiden loslegen. Danach kann Richie Flores es selber kaum fassen, wie sehr Malekzadehs treibende Daf-Rhythmen mit seinem Vollkörpereinsatz an den Congas harmonieren, „She's the one!", ruft er zwinkernd ins Publikum. Oder wenig später, als sich alle Masterclass-Dozenten noch spontan eine mit spektakulären Solos angereicherte Jam-Session lieferten. Auch hier zeigt sich die Vielfalt des Programms noch ein letztes Mal – acht Perkussionisten stehen auf der Bühne, jedoch kein Instrument ist doppelt vertreten. Doch eines haben die Musiker trotzdem gemeinsam: Den Rhythmus im Blut.
Von Tobias Rüetschi
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