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von Sascha Erni, 30.04.2016

Konferenz der Künstler

Konferenz der Künstler
Alex Meszmer ist Teil des Teams der Jamm’Art und koordinierte die Konferenz in Gdansk. | © FB

Vom 27. bis 29. April 2016 diskutierten im Rahmen der „Jamm’Art“ hunderte Kulturschaffende, Intellektuelle und sonstige Interessierte online über die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur. Federführend beim Projekt war Künstler und visarte-Vorstandsmitglied sowie Vizepräsident von Culture Action Europe, Alex Meszmer aus Pfyn. Meszmer ist bei visarte zuständig für die internationalen Beziehungen.

Beobachter: Sascha Erni


Wie bringt man Kulturschaffende aus Ländern wie Peru, Italien, Ísland, Hong-Kong und der Schweiz an einen Tisch? Man bedient sich des Internets und veranstaltet eine virtuelle Konferenz. Koordiniert wurde das Projekt allerdings nicht in Telearbeit vom heimischen Sofa aus, sondern in einer Kirche: Das Moderations- und Koordinationsteam von Culture Action Europe (CAE), des führenden europäischen Künstlerverbands, quartierte sich drei Tage lang in der Kirche St. John’s, Gdansk (Polen) ein.

Als Internet-Projekt bediente sich die Jamm’Art verschiedener Online-Dienste. So wurden neben der Plattform www.jammart.eu auch Instagram, Twitter und Facebook mit aktuellen Informationen gepflegt. (Screenshot: Twitter, @actforculture)

 

Auch wenn die Konferenz 72 Stunden lang, rund um die Uhr, offen blieb,
hielt sie sich in ihrer groben Struktur doch an die einzelnen Tage. Am
Mittwoch stellte das Team vier Fragen an die fast 400 Teilnehmenden,
jede Frage wurde von einer oder mehreren Bezugspersonen betreut. So
übernahm zum Beispiel die Künstlerin Guðrún Gísladóttir das Thema der
Finanzierung von Kunst und Kultur: Sollen Künstlerinnen und Künstler
alleine von ihrer Arbeit leben können, und falls ja, wie? Als Präsidentin des ECA - European Council of Artists, des europäischen Künstlerrats - bot sich hier sehr direkt ein Bezug an.

Spätestens jetzt nahm die Konferenz an Fahrt auf, Theorien und Ideen wurden hin und her gespielt. Zu Spitzenzeiten waren gleichzeitig bis zu fünfzig „Jammer“ rege an der Diskussion beteiligt. Kein Wunder, die Frage nach der Bedeutung von Urheberrechten und der Kulturfinanzierung im Allgemeinen stellt sich nicht nur in der Schweiz.


Ohne Resonanz kein Publikum

Auch wenn das Finanzielle am ersten Tag die Hauptrolle einnahm und die ganze Konferenz über immer mitschwang, so zeigte doch spätestens der Donnerstag, dass Kulturschaffende eigentlich ganz andere Themen interessieren. Die Diskussionen des Vortags wurden archiviert und frische Fragen gestellt.


In Nachtschichten visualisierte ein Team aus Technikerinnen und Künstlern die jeweiligen Diskussionen und Konferenztage, wie hier im Bild die Mittwochs-Zusammenfassung. (Screenshot: jammart.eu)

 

Dann, ein Gedankenexperiment: Unter dem Motto „Let’s get practical“ diskutierten die Teilnehmer den hypothetischen Fall einer europaweiten Beschränkung der Meinungsfreiheit - aufgrund einer terroristischen Bedrohungslage. Wie würden sie reagieren, und wie sollte die Gesellschaft mit einer solchen Situation umgehen? Die lebhafte Diskussion sprang schnell von Vergangenheit in die Gegenwart, von Charlie Hebdo zur Lage in Russland oder der Türkei, von rechtsradikalen Bands zu einer indirekten Zensur im Zeitungsmarkt.

Denn nur, was die Redaktionen (und der Markt) als lesenswert erachteten, werde auch gedruckt, also würden sich irgendwann auch die liberalsten Künstlerinnen und Künstler fragen müssen, ob sie denn ein Projekt trotz fehlender publizistischer Resonanz überhaupt angehen sollten. Ohne Resonanz kein Publikum, ohne Publikum keine Mäzene oder Käufer, damit auch kaum die Möglichkeit, weitere Werke zu schaffen. Die Finanzfragen des Vortags wurden als das entlarvt, was sie aus kulturschaffender und intellektueller Sicht sind, vielleicht auch sein müssen: Sachzwänge, aber keine Motivation. Geld ist Mittel zum Zweck, der Zweck das Ziel - und nicht anders herum.


Neben allgemeinen Diskussionen waren auch praktische, politische Szenarien Thema. (Screenshot: jammart.eu)


Jeder kann mitmachen

Die Eintrittshürden, um der Jamm’Art als aktiver Teilnehmer oder als Zuschauer beizuwohnen, wurden vom Organisationsteam tiefstmöglich gehalten. Interessenten konnten sich in zwei Schritten auf der Plattform registrieren oder anonym mitlesen. Der Internationalität des Anlasses geschuldet war eine automatische Übersetzungshilfe eingebaut, so dass jeder in seiner Muttersprache schreiben oder eine Übersetzung in diese Sprache auswählen konnte. Die meisten Teilnehmenden konferierten dennoch auf Englisch.


Zumindest an diesem Anlass hatte man als Zuschauer das Gefühl, dass Englisch die lingua franca des Kulturbetriebs darstellt. Bei den Voten hingegen zeigte sich kein einheitliches Bild, sondern ein Schmelztiegel aus Erfahrungen, Weltbildern und Ideen. Auch wenn die Konferenz im virtuellen Raum stattgefunden hat: an Inspiration und Kreativität mangelte es in keinster Weise. Bleibt zu hoffen, dass solches „Crowd-Sourcing“, das kollaborative Sammeln von Ideen mit digitalen Mitteln, die Vernetzung zwischen Kultur und Gesellschaft im 21. Jahrhundert vorantreiben kann. Denn ohne Gesellschaft keine Kultur, und ohne Kultur keine Gesellschaft? Das zumindest war unser persönliches Fazit.

 

Drei Fragen an Alex Meszmer

Der Schweizer Künstlerverband visarte ist seit 2011 Mitglied von Culture Action Europe und wird von Alex Meszmer, seit 2015 als Vizepräsident, im Vorstand vertreten. Meszmer ist Teil des Teams der Jamm’Art und koordinierte die Konferenz in Gdansk.


Weshalb hat sich Culture Action Europe ausgerechnet eine Kirche als Koordinationsstelle ausgesucht?
Unsere Basis ist das Baltic Sea Cultural Centre in Gdansk, das auch ein CAE Mitglied ist. Die St. John’s Kirche ist einer der beiden Veranstaltungsorte des Baltic Sea Cultural Centre. Am Sonntag wird sie nach wie vor für Gottesdienste genutzt - deswegen konnten wir nicht an einem Wochenende jammen. Den Rest der Woche gibt es Aufführungen, Konzerte usw.. Die Kirche wurde erst nach dem Mauerfall und dem Ende der Sowjetunion wieder aufgebaut.


Wie ist die Jamm’Art aus Sicht des Koordinationsteams verlaufen?
Der Beginn war schneller als wir ursprünglich dachten - immer zwischen zwanzig und vierzig Jammer online, mehr als 500 Beobachter. Das lag sicher auch daran, dass sich am Mittwoch noch einige Teilnehmende auf der Plattform angemeldet hatten und entsprechend gleich einstiegen. Donnerstag und Freitag waren etwas ruhiger, was die Anzahl der Voten und Beiträge betrifft. Dafür wurden die Debatten zeitweise hitziger.


Wie lautet Ihr Fazit, und wie geht es weiter?
Als wir mit der Idee des Jamm’Arts herumspielten, hätten wir nie gedacht, dass sich so viele Teilnehmer so engagiert einbringen würden. Wir werden die Diskussionen und Inhalte über die nächsten Wochen analysieren und aufbereiten und uns dann auch überlegen, wie es mit Jamm’Art weitergehen wird. Das Material der vergangenen drei Tage bleibt aber öffentlich zugänglich. (Sascha Erni/rb)

 

Am 22.4.16 auf thurgaukultur: Künstler diskutieren Engagement

 

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