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von Hans Gysi, 24.06.2015

Das Wort zum Mittwoch

Das Wort zum Mittwoch
Bloggt ein halbes Jahr jeden zweiten Mittwoch: Hans Gysi. | © Rolf Müller

Neuer Blog bei thurgaukultur.ch: Das Wort zum Mittwoch. Exklusiv schreibt der Märstetter Autor und Schauspieler Hans Gysi vorerst für ein halbes Jahr alle zwei Wochen, was ihm aktuell zum Thurgau einfällt – wir sind gespannt.

Herr Gysi, der Kanton Thurgau - was gibt es da als Lyriker zu sagen?

Gute Frage! Emotionales und Gedankliches hat Platz. Intimes und Innerliches. Leises und Lautes. Schräges, Wucherndes. Nebensächliches und Zentrales. Wem grünt der Thurgau und wie, wo verfärbt er sich? Wie bunt ist der Kanton, wie disparat? Viele Fragen aufwerfen. Neue Horizonte suchen.

Der neue Blog ist eine Carte Blanche: Wie wollen Sie die bis Ende Jahr nützen?

Kein fixes Konzept. Es wird ein Gedanken- und Echoraum sein. Reagieren auf das, was auffällt. Am Schreiben gehen, hat Nizon gesagt. Dialog und Monolog mit den LeserInnen, Sie dort und hier erreichen. Subjektiv statt objektiv. Reflexion statt Reproduktion. Themen zur Sprache bringen: Wie lebt es sich hier, wie stirbt man hier. Kultur und Subkultur. Tradition und Neues, Anstösse finden. Ein Sternchen in den Text einfügen.

Was kann Text, was Bild und Ton nicht kann?

Das Unsagbare verschweigen. Schwarz auf Weiss sein, das Vertraute neu entdecken. Das Naheliegende in die Ferne rücken. Etwas zwischen die Zeilen legen. Das Unsagbare sagen. Ansprechen. Produktive Missverständnisse hervorrufen. Das Thurgauer Schweigen brechen. Fussnoten. (rom)

***

Hans Gysi


here I am (hier bin ich)

hier winke ich, sag hallo, grüezi und e schöns
tägli gäll, bin freundlich, zurückhaltend aber
zuverlässig fast ein thurgauer dem thurgauer
und doch bleib ich etwas der fremde, der ansasse nur, der
widerspenstige, im falschen pelz, der reineke,
der überzählige, der fötzel, der unsichtbare.

*

hier bin ich, hab einen standpunkt auf verlorenem
posten, äuge ins sperberland, mause im grubenacker
und schwitze, habe keine wunderpille für den juni,
sehe die radfahrer von hinten, winke verspätet am
zaunpfahl. im randland. vom ottoberg seh ich die
letzte wand: den säntis.


*

hier schreib ich über ecken und kanten über
barbecue und gartenidylle über bewässerung und
swimmingpools, übers seebecken und die
bootshäfen. über flaue winde auf glattem see und
stürmische böen in lauschigen buchten.
über die verzettelung der regionen und über den
seerücken der alle beglückt.


*

hier gucke ich zur „sonne“ zum „sternen“ oder in die
„landi“ und stecke fest, sehne mich nach grossstadt
und drück mir die nase platt, sage nett grüezi und e
schöns tägli no und habe eine theorie dass jeder sich
sehnt nach dem, was er nicht hat. dass aber
innewohnt jedem thurgauer jeder thurgauerin
der eigene garten. und die befürchtung, dass man nie
mehr wegkommt.


*

hier wohne ich also, bin ich zuhause, bin fleissig und
faul je nach gusto, also, mache manchmal blau oder
überstunden wie alle und nasche heimlich vom
zucker der poesie der einen hungriger zurücklässt.
urbane variationen sind manchmal das bild, urbane
leichtigkeiten in allem behäbigen.


*

hier ist gut weile haben und das grün grünt auch mir
zeitweise, die erdbeeren wachsen in die ohren und
immer noch apfel und gemüse fast jeglicher sorte
vor der nase. auch brummt der verkehr lebhaft duch
uns hindurch. nur manchmal alles wie tot, erschreck
ich, zucke ich wie im hundertjährigen schlaf. grau.
staub.

 

Der Mann des Worts zum Mittwoch

Hans Gysi (62) hat in Zürich eine Lehrer- und eine Schauspielausbildung gemacht. Als freischaffender Regisseur von Frühlingserwachen bis zur Kleinbürgerhochzeit inszeniert & als Schauspieler und Autor gearbeitet. Teilpensum in Berufsschule. Verschiedene Preise und Unterstützungen. Lebt über 25 Jahre im Thurgau. Unterhält das theaterbureau gysi. Veröffentlichungen „pocket songs“ und „generalprobe“ im Verlag edition 8.



***

Mehr zum Thema:

Lyrik für den Alltag - thurgaukultur.ch vom 13.05.2015

www.hansgysi.ch

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