von Rolf Müller, 15.01.2015
Gescheite Intellektsperre

Der Verein Kabarett in Kreuzlingen hat das Programm für das Festival 2015 vorgestellt. Einer der Gäste ist Rolf Miller. Im Interview sagt er, was Künstler, Politiker und Terroristen gemeinsam haben.
* Interview: Rolf Müller
Am 5. März 2015 treten Sie am KIK-Festival in Kreuzlingen auf, wo Sie ja bereits ein alter Bekannter sind. Was macht diese Grenzstadt so einzigartig, dass es Sie magnetisch immer wieder herzieht?
Rolf Miller: Solange mir der KIK-Macher Micky Altdorf selbstgebrannte CDs in Mainz vorbeibringt, komme ich auch weiterhin. Auf einer war der Song "Fade out lines", Harald Schmidt hat das Stück in einer seiner letzten Shows mit Band live auf der Bühne gespielt. - Also, da muss irgendwie Sachverstand in Kreuzlingen herrschen.
Seit über 20 Jahren touren Sie als Kabarettist und sehen die Welt – naja, Deutschland, Österreich und die Schweiz. Gibt es beim Länderpublikum Unterschiede beim Humor?
Es gibt durchaus Mentalitätsunterschiede, allein schon innerhalb der Länder in Deutschland. Aber die Provinz, die ich spiele, ist überall. In der Schweiz ist ja Andreas Thiel der Fachmann in diesen Fragen.
Passen Sie das Programm an die Länder an?
Auf keinen Fall, ausser in der Aussprache bei ganz wenigen Worten, die vielleicht nicht verständlich wären. Der peinliche Versuch der Übersetzung ins Hochdeutsche gelingt aber nur bedingt, was dann noch lustiger ist. Ausserdem: Meine Bühnenfigur kann sich horizontartig gar nicht anpassen.
Micky Altdorf, KIK-Programmverantwortlicher. (Bild: Rolf Müller)
KIK-Festival 2015 bringt die Kabarett-Highlights nach Kreuzlingen
Vom 5. Februar bis 20. März 2015 geht in der Grenzstadt die dreizehnte Auflage des KIK-Festivals (Kabarett in Kreuzlingen) über die Bühne. Es steht traditionell für eine grosse Bandbreite vom klassisch politischen, poetischen und literarischen Kabarett bis hin zum musikalischen.
Der Kulturverein freute sich bei der Programmpräsentation, dass es wiederum gelungen sei, Grössen des Genres nach Kreuzlingen zu holen. So etwa Christoph Sieber mit „Alles ist nie genug“, dem zwei Wochen nach dem Auftritt am 6. Februar der deutsche Kleinkunstpreis 2015 verliehen werden wird. Aber auch alle anderen Auftretenden sind renommierte Künstlerinnen und Künstler und versprechen intelligente Unterhaltung. (rom)
Programm: Jochen Malmsheimer, 5.2.15; Christoph Sieber, 6.2.; Joachim Rittmeyer, 7.2.; Thomas Reis, 21.2.; Erwin Grosche, 28.2.; Rolf Miller, 5.3.; Oropax, 6.3.; Alfred Dorfer, 10.3. (ausverkauft); Urban Priol, 12.3.; Günter Gründwald, 14.3.; Christine Prayon, 20.3.
Detailliertes Programm: Homepage Kulturverein Kabarett in Kreuzlingen
Vorverkauf: Für die Veranstaltungen des Festivals 2015 sind Tickets im Vorverkauf erhältlich: Bei Starticket (print@home, Vorverkaufsstellen) und in der Geschäftsstelle von Kreuzlingen Tourismus an der Hauptstrasse 39.
Was ist das eigentlich, Humor?
Eine unbewusste Übersprungshandlung, Reflex. Dient der Deeskalation und rettet Menschenleben.
Sind Sie auch Charlie?
Ich war zwar nie Papst oder Jogy Löw - ich bin Miller. Aber dort, wo Barbarei herrscht, ist mein Mitgefühl. Unvorstellbar, dieses geplante Grauen.
Haben Ereignisse wie der Anschlag in Paris auf das Satiremagazin Einfluss auf Ihr Programm?
Für sowas ist meine Figur zu weit weg. Meine Bühnenfigur hat im kantschen Sinne mit der Aufklärung aber parallele Probleme wie die, die ich da persönlich sehe: „Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen."
Darf man sich über Religion oder Verbrechen lustig machen?
In meinen Programmen hat Religion nie eine Rolle gespielt. Wer sie in der Satire bespielt, muss auch aufpassen, dass er nicht Applaus von der falschen Seite bekommt. Und speziell bei Anschlägen oder Opfern von Naturkatastrophen fehlt der satirische Gegenstand gänzlich. Beispielsweise hat Harald Schmidt nach 9/11 ausschliesslich über die Berichterstattung gelästert. Nicht über Religion. Zu Recht.
Millers Programm „Alles andere ist primär“
Rolf Millers namenloser Antiheld merkt auch im vierten Kabarettprogramm „Alles andere ist primär“ nicht, was er anrichtet. Er spricht hinterhältig indirekt Wahrheiten aus, die wehtun. Und trifft von hinten durch die Brust - bevor man es merkt, lacht man, und dann tut es noch mehr weh. Es stellen sich Fragen: Werden Millers Held sowie Achim und Jürgen sterben? Haben Frauen endlich Namen? Kommen sie überhaupt vor? Was haben Tatortmanie, Sudoku und Facebook damit zu tun? Für seine komponierten Stammelsymphonien erhielt Miller zuletzt den deutschen Kabarettpreis.
In ihren Programmen sitzen Sie 90 Minuten lang allein auf einem Stuhl und performen konzentriert – wie fit muss man da sein?
Nicht so fit wie die, die stehen.
Als deutscher Jugend-Torschützenkönig 1974 halten Sie sich zweifellos mit Fussball in Form.
Ich denke sowieso mit dem Knie, das aber schon lange kaputt ist. Daher bin ich wohl im Kabarett gelandet... und spiele seither Tischtennis und laufe.
Der FC ihrer Wahl ist…?
Freiburg und Empor Berlin.
Ihr neues Programm heisst „Alles andere ist primär“. Was ist denn so sekundär in ihrem Dings, äh, Leben?
Tatsächlich ist Kabarett das, was ich am besten kann. Das hat aber gedauert. Jetzt, wo ich weiss, wie‘s geht, freu ich mich viel mehr auf jeden Auftritt, kann mich aber primär endlich um alles das kümmern, was nicht Kabarett ist.
Was da wäre?
Alles andere, was das Leben halt so hergibt.
"Wer Religion in der Satire bespielt, muss auch aufpassen, dass er nicht Applaus von der falschen Seite bekommt."
Scham ist das Hauptantriebsmittel im Kabarett, sagten Sie in einem Interview. Als schamloser Profiteur: Wofür schämen Sie sich denn?
Es geht dabei entweder um überhöhtes oder mangelhaftes Schamgefühl. Ähnlich wie Terroristen hat der Satiriker oft Probleme damit, sich überhaupt zu schämen. Ich sehe da auch Parallelen, warum man Künstler, Politiker oder Terrorist wird. Der Kabarettist Mathias Beltz hatte beispielsweise die gleiche Motivation wie Andreas Baader, Joschka Fischer, Dani Cohn-Bendit… Man kann das natürlich nicht verallgemeinern, aus einer ähnlichen Ausgangslage können völlig gegenläufige Lebensläufe entstehen. Die einen reflektieren und werden sensibel, andere mutieren zu empathielosen Maschinen.
Wie ist das bei Ihnen?
Unzufriedenheit mit den Verhältnissen oder wohl eher mit sich selbst ist absolut notwendig als Motivation, um eine Art von Bühne zu suchen, sonst ist eine Schamüberwindung nicht möglich. Wenn man Glück hat, landet man nicht bei einer AK 47, sondern bei der Ironie im Theater.
Ihre Figuren entwickeln Sie von unten, beschrieben Sie einmal ihre Arbeitsweise. Was heisst das?
Meine Figuren wissen von ihrer Anlage her nicht, welche Wirkungen sie erzeugen und sind sich nicht klar darüber, was sie auslösen. Intellektsperre. Anders als in der Stand-Up-Comedy sind sie nicht allwissend. Im Gegenteil. Um es mit Karl Kraus zu sagen: „Es genügt nicht, sich keine Gedanken zu machen, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.“
Polt, eines Ihrer Vorbilder, steht noch mit 73 Jahren regelmässig auf den Brettern. Sie sind jetzt 47. Wie lange machen Sie’s noch?
Ich fühl mich auch im 24. Jahr auf der Bühne noch fit. Mal sehn.
Ihr persönlicher Tipp aus dem Programm des KIK, wen muss man sehen, wiedersehen, entdecken?
Erwin Grosche. Mit Grüssen von mir.
***
* Das Interview wurde per Email, telefonisch und mittels SMS geführt. Rolf Miller und Rolf Müller haben ausser ähnlichen Mail- und Webadressen sowie einer Präferenz für Harald Schmidt keine Verbindungen.
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KIK startet jetzt - thurgaukultur.ch vom 29.11.2014
KIK vor dem Start! - thurgaukultur.ch vom 8.01.2014
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