von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 20.03.2023
Der Kunst-Botschafter
Seit fast 30 Jahren betreibt Adrian Bleisch erfolgreich seine Galerie in Arbon. Das liegt an seinem Gespür für aussergewöhnliche Kunst - und besondere Orte. Besuch bei einem Überzeugungstäter. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Wenn es stimmt, dass Gebäude und Architektur im Allgemeinen auch etwas über das Selbstbewusstsein des jeweiligen Bauherren verraten, dann muss man sich den Arboner Unternehmer Friedrich August Schädler (1877-1954) als einen recht stolzen Menschen vorstellen. Schädler baute die vom Vater übernommene Spenglerei zum Presswerk F.A. Schädler um. Die Fabrik, die damals vor allem Lastwagenräder und Chassis für Saurer produzierte, erweiterte er nach eigenen Plänen.
Seiner Heimatstadt Arbon hinterliess er so unter anderem den hoch aufragende Schädler-Turm, der heute noch ein Wahrzeichen der Stadt ist, sowie einen an den Turm angefügten Eckbau in der heutigen Grabenstrasse. Mit seinen breiten Fensterfronten, den grosszügigen Arkaden und den stämmigen dorischen Säulen wirkt der Bau so, als sei er einer beliebigen Grossstadt entrissen, um ihn ausgerechnet in einer kleinen Stadt im Osten der Schweiz neu einzupflanzen.
Das Gebäude unvollendet wie die Kunst
Dass seit ein paar Jahren die Kunst hier eine Heimat gefunden hat, passt da ganz gut. Geplant hatte Schädler ursprünglich ein mehrgeschossiges Verwaltungsgebäude im Stil des barocken Leindwandhändlerhauses «Zur Schwarzen Straussfeder». Dazu kam es nicht mehr. Das Gebäude blieb unvollendet. Genauso wie das Idealbild von Kunst, die durch die Auseinandersetzung mit einem Publikum immer fortgeschrieben wird und nie an ein Ende gelangt.
„Ja“, sagt dann auch der Galerist Adrian Bleisch, „ich glaube, ich habe hier einen aussergewöhnlichen Ort für Ausstellungen gefunden.“ Bleisch muss es wissen, er hat in Arbon schon mehrere markante Orte bespielt. Erst das Bohlenständerhaus an der Schmiedgasse, dann auf dem Saurer-Areal und seit 2017 nun im „Oberen Schädler“, wie das Areal genannt wird. Adrian Bleisch hat aber nicht nur ein Gespür für Ausstellungs-Orte, sondern auch ein grosses Herz für Kunst und Künstler:innen.
„Ich will Kunst zeigen, die berührt.“
Adrian Bleisch, Galerist
Seit 1994 betreibt er seine Galerie Adrian Bleisch, im nächsten Jahr könnte er runden Geburtstag feiern, wenn ihm solche Jahrestage nicht schrecklich egal wären. „Ich will Kunst zeigen, die berührt. Alles andere interessiert mich nicht so sehr“, sagt der 55-Jährige.
Man kann das für Koketterie halten, aber tatsächlich ist Adrian Bleisch, graue Jeans, hellblaues Hemd, wacher Blick, ja eine der interessanteren Figuren im Ostschweizer Kunstzirkus. Nicht nur, weil er seit fast 30 Jahren eine Galerie am Leben erhält, die nicht auf den schnellen Verkauf schielt.
Sondern auch, weil er immer wieder aussergewöhnliche Projekte angeschoben hat. So wie 2001 die „Promenade: Kunst am See“, die den Arboner Seepark in eine Open-Air-Galerie verwandelte. Oder zuletzt den Tankkeller in Egnach, wo er das Kunstprogramm verantwortete. An beiden Projekten erkennt man auch eine andere Eigenschaft von Adrian Bleisch - er arbeitet gerne langfristig mit Künstler:innen zusammen. Ute Klein, Christoph Rütimann, David Bürkler, Max Bottini waren 2001 dabei uns stellten auch in den Folgejahren immer wieder bei Bleisch aus.
Lehrer und Galerist - gar nicht so verschiedene Welten
„Ich mag es einfach, mit Künstlern und Künstlerinnen langfristig zu arbeiten, ihre Entwicklungen zu verfolgen und zu sehen, wie verschieden sie Themen bearbeiten“, sagt Adrian Bleisch. Kunst - das ist für ihn vor allem Begegnung. Mit Themen, aber eben auch mit Menschen. Hier trifft sich sein Hobby Galerie mit seinem eigentlichen Beruf - Lehrer. In beiden Welten geht es für ihn darum, Menschen zu berühren und neue Horizonte aufzuzeigen.
Dabei hätte Bleischs Lebensweg auch ganz anders verlaufen können. Am Lehrerseminar in Zug hat er angefangen Ausstellungen zu organisieren. Das gefiel ihm so gut, dass er beschloss, Kunstgeschichte zu studieren. Aber dann wurde er Vater und entschied sich für den wirtschaftlich sicheren Weg und wurde Lehrer. Bis heute arbeitet er als Pädagoge, inzwischen als Schulleiter in Pfyn.
Die Kunst liess ihn in der ganzen Zeit aber nie los, er hatte immer das Gefühl, dass ohne sie sein Leben ärmer wäre. Und so ergriff er die Chance zur Galeriegründung, als sich 1994 die Räume im Arboner Bohlenständerhaus auftaten.
In seiner ersten Ausstellung zeigte er Arbeiten von Conrad Steiner, der kurz zuvor den Adolf-Dietrich-Förderpreis erhalten hatte. „Ich habe damals kein einziges Werk verkauft, trotzdem werte ich die Ausstellung für mich als Erfolg“, erinnerte sich Adrian Bleisch.
Chancen gibt er auch Nachwuchs-Künstler:innen
Mit Steiner verbindet ihn seit 1994 eine Freundschaft. In insgesamt neun Einzelausstellungen zeigte Adrian Bleisch seither dessen Werk. Während er das erzählt, kommt es ihm fast komisch vor, „weil es so klingt, als würde ich andauernd meine Kumpel ausstellen“, sagt Bleisch.
Und genau das ist es ja, was er gar nicht will. Ausstellungsorte, die nur das eigene Umfeld bedienen, sind ihm ein Graus. Kunst müsse raus aus den ewig gleichen Zirkeln. „Als Galerist muss man sich stets Neugierde bewahren“, findet Adrian Bleisch. Deshalb gibt er auch immer wieder Nachwuchs-Künstler:innen eine Chance.
Wichtigstes Kriterium bei der Auswahl von Künstler:innen sei die Qualität. „Es muss gut sein“, sagt der Galerist. Was genau das bedeutet? „Es muss mich berühren, es muss Dinge neu denken und Sichtweisen verschieben. Die zentrale Frage ist: Hat jemand etwas zu erzählen, oder nicht?“, erklärt der 55-Jährige.
„Die zentrale Frage ist: Hat jemand etwas zu erzählen, oder nicht?“
Adrian Bleisch, Galerist
Wenn ihn ein Werk überzeugt hat, dann holt Bleisch Briefpapier und Stift heraus und formuliert ganz klassisch einen handgeschriebenen Brief. „Für mich ist das auch eine Form der Wertschätzung und Respektbekundung gegenüber den Künstler:innen. Diese Zeit ist es immer wert“, sagt der Galerist. In diesen Briefen bittet er dann um einen Termin für einen Atelierbesuch. Erst im persönlichen Gespräch stelle sich heraus, ob es zu einer Zusammenarbeit kommt. „Es muss einfach passen. Auch zwischenmenschlich“, sagt Bleisch.
Programmatisch ist seine Galerie nicht festgelegt, aber es gibt doch einen sehr klaren Fokus auf Künstler:innen aus der Ostschweiz. „Es gibt hier einen so grossen Reichtum an vielseitigen Werken, da muss man gar nicht weit reisen. Ich bin immer wieder überrascht, wie abwechslungsreich die Szene hier ist“, sagt Bleisch. In seinen Räumen an der Grabenstrasse kann er Künstler:innen fast optimale Bedingungen bieten. Klassischer white cube mit viel Sichtbarkeit nach aussen wegen der hohen und breiten Fensterfronten.
Das Who is Who der Ostschweizer Kunstszene
Kein Wunder, dass sich Bleischs Programm der vergangenen Jahre liest wie das Who is Who der Ostschweizer Kunstszene: Christoph Rütimann, Ute Klein, Rachel Lumsden, Alex Hanimann, Jan Kaeser, Valentin Magaro, David Bürkler, Andrea Vogel, Roland Iselin, Max Bottini, Sarah Hugentobler, Ernst Thoma, Co Gründler - sie alle haben bei Bleisch ausgestellt.
Bei manchen von ihnen hat Adrian Bleisch das Potenzial früher als andere erkannt. Wohl auch deshalb stellen alle immer wieder gerne bei ihm aus. Ob es für ihn auch eine Verantwortung ist, regionale Künstler:innen zu fördern? „Wenn Sie mich damit fragen wollen, ob es für mich eine Bürde oder Pflicht ist, dann nein. Ich habe einfach grosse Freude daran“, sagt Bleisch. Eine Botschaft verbindet sich gleichwohl mit der Arbeit des Galeristen. Sie lautet in etwa so: Ihr müsst nicht in die Ferne schweifen, um spannende Kunst zu sehen, es gibt sehr viel davon, sehr nah.
Die Magie des Hängungs-Moments
Zum Ende des Gesprächs noch eine letzte grosse Frage: Was soll Kunst heute? Adrian Bleisch grübelt, ringt um eine Antwort und sagt dann: „Mich persönlich belebt Kunst extrem. Kunst ist eine Bereicherung, sie erweitert Horizonte und fördert die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen.“
Inwieweit das bei ihm auch persönlich passiert, das entscheide sich in den Stunden, wenn er gemeinsam mit den Künstler:innen die Hängung für eine Ausstellung macht. „Wenn da eine besondere Magie entsteht, das Werk sich plötzlich komplett erschliesst, dann weiss ich, dass es eine gute Ausstellung wird.“
Weil er diese Momente so liebt, denkt der Galerist noch lange nicht ans Aufhören: „So lange ich Freude daran habe und die Galerie sich kostendeckend weiter entwickelt, mache ich das auch in den kommenden Jahren“, sagt Adrian Bleisch.
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