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von Brigitta Hochuli, 06.04.2011

Tokyo in Arbon - NIEMANDESLAND

Tokyo in Arbon - NIEMANDESLAND
Obdachlosenhabe in Tokyo, fotografiert von Sylvia Hostettler. | © www.sylviahostettler.ch

Sylvia Hostettler zeigt in der Kunsthalle Arbon, wie fragil Tokyo schon vor der Katastrophe war. Andrea Gerster textet dazu.

Brigitta Hochuli

● Fukushima: Ein verstrahlter Arbeiter wird unter einer blauen Abdeckplane vom Atomkraftwerk wegtransportiert. Diese Pressefotografie lässt einen nicht mehr los.

● Tokyo: Die Bernerin Sylvia Hostettler streift durch die Millionenstadt und sammelt Töne und Bilder. Sie sieht die vielen Obdachlosen, von denen niemand Kenntnis nimmt. Mit denselben blauen Planen verpacken sie ihre Habe ordentlich in Einkaufswägelchen. So sähen sie aus wie Geschenke, erzählt die Künstlerin. Seither sind zwei Jahre vergangen.

● Arbon: In der Kunsthalle baut Sylvia Hostettler ihre Installation auf. „Suchend in einer gefluteten Stadt NIEMANDESLAND gefunden“, nennt sie ihr Werk. Auch hier: Ein Meer derselben blauen Planen. „Das optische Konzentrat zieht den Besucher in einen fernöstlichen, urbanen Rausch zwischen steigenden Obdachlosenzahlen und fallenden Kirschblüten“, beschreibt Kunstkritiker und Vernissageredner Fabian Meier die Umsetzung.

 

 

Die Ausstellung ist nicht fertig eingerichtet, als wir uns zum Gespräch treffen. Bereits zu sehen sind in einer Art grossem blauen Zelt eine aus Papier gefaltete sich drehende Stadt, zartfarben und golden glitzernd. In der Nähe ein hängender Schachtelbau, grau und unwirtlich.

Dazu hören wir elektronisch erzeugte Klänge, die der ebenfalls aus Bern kommende Musiker Marco Repetto in die Tokyoter Originalgeräusche von Lebewesen, Apparaten, Vögeln und Autos hineinverwoben hat. Repetto fühlt sich vertraut mit Sylvia Hostettlers Arbeit. Er lässt sich wie sie in Landschaften zur Kunst inspirieren.

In andere Städte ist die Thurgauer Autorin Andrea Gerster gereist, hat beobachtet und zugehört. Zum Beispiel in Rom. Daraus und mit Hilfe der Tagebücher von Sylvia Hostettler und der Stimmen von Schauspielschülern der Berner Hochschule der Künste ist eine Textinstallation im Hörspielmodus entstanden, die, möchte man hoffen, das „NIEMANDESLAND“ in der globalen Unverbindlichkeit verorten.

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Sylvia Hostettler beschäftig sich seit sechs Jahren mit Landschaften. „NIEMANDESLAND“ ist die fünfte und letzte Arbeit in einem Werkzyklus. Dabei geht es um die Fragilität der Gesellschaft und um die Fragilität „ganz allgemein“, wie sie sagt. Die Tokyoter Fragilität ist nun Realität geworden. „Ich will mir nicht anmassen, die Katastrophe vorausgesehen zu haben“, erklärt die Künstlerin. „Aber die Thematik war schon während meines Besuches in der Luft.“ Und sie begleite sie im übrigen seit eh und je als „ein Gefühl von unserer Welt“.

Die sich drehende Kunststadt unter der blauen Plane vor Augen und die Katastrophe im Kopf frage ich nach der Zulässigkeit dieser Ästhetisierung. „Ich nenne es selber so“, sagt Sylvia Hostettler. „Ich ästhetisiere, damit man das Schreckliche anschauen kann. Wenn das die Menschen zum Nachdenken bringt, ist erreicht, was Kunst soll.“

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Vernissage in der Kunsthalle Arbon am Samstag, 16. April, 17 Uhr. Ausstellung bis 22. Mai. www.kunsthallearbon.ch

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Die Künstler

SYLVIA HOSTETTLER (*1965)

Lebt und arbeitet als bildende Künstlerin in Bern.

In einer Residenz im Jahre 2005 nimmt die Projektreihe LANDSCHAFTEN seinen Anfang und manifestiert sich im ersten Kapitel

- LUXFLABILIS, das auf einer Erkundungstour durch die Wälder des Unterengadins entstanden ist.

- Die Reise- und Wanderjahre führten seither durch die Schweizer Alpen, 2005-08, BERGWASSER;

- dank eines Reisestipendiums des Kantons Bern nach Island, 2007, INSELREISE;

- als artist-in-lab ins Centre intégratif de Génomique (CIG) der Universität Lausanne, 2008, LICHTREAKTION;

- in die Metropole Tokyo, 2009, NIEMANDESLAND.

Nach langjähriger Beschäftigung im Kerngebiet Plastik, ein Objekt entsteht aus dem anderen, entwickeln sich die Projekte zunehmend zu spartenübergreifenden Installationen. Die Thematik des Unterwegsseins und somit Erfahrungen in und die Auseinandersetzung mit unbekanntem Terrain hat ihr Schaffen verändert. Neben traditioneller Vorgehensweise mischen sich neue Medien in das ästhetisierte Werk.
Sylvia Hostettler zeigte ihre mehrfach ausgezeichneten Werke in vielen Ausstellungen im In- und Ausland.

www.sylviahostettler.ch

ANDREA GERSTER (*1959)

Lebt und arbeitet als Schriftstellerin im Kanton Thurgau.

Das Ausloten der Möglichkeiten von Sprache in Form oder Form in Sprache ergibt u.a. langjährige Projekte mit bildenden Künstlerinnen und Künstlern, aber auch mit Musik und Theater.

Andrea Gerster wird 2011 vom Kanton Thurgau mit einem Förderbeitrag von 25'000 Franken ausgezeichnet.

Die wichtigsten Publikationen: «Schandbriefe», Roman, Lenos 2010; «Instantgeschichten», Kurzprosa, Saiten 2010, «Mimosa fliegt», Erzählungen, Bucher 2009; «Dazwischen Lili», Roman, Lenos, 2008; «Käfermanns Liebe», Erzählungen eFeF 2004.

www.wordworker.ch

MARCO REPETTO (*1957)

Lebt und arbeitet in Bern als Elektronik-, Liveact-Musiker und Produzent.

Die Neugier des international beachteten und ausgezeichneten Musikers führen ihn u.a. zur Zusammenarbeit mit Performern aus anderen Musikrichtungen und mit bildenden Künstlerinnen und Künstlern. Die elektronische Musik, die stark inspiriert ist von Pflanzen und Tieren, entsteht über Klangforschungen und -experimente, die in Produktionen im Studio wie auch in Live-Performances resultieren.

Die wichtigsten CD-Produktionen: bigeneric «the amaranth fields», inzec records, 2009; «sinbiotik - kalydra», inzec records, 2004; «bigeneric - caliphor», inzec records, 2004; «pure electronic works 1», tonus music records, 2003.

 

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