von Brigitta Hochuli, 09.09.2013
Bestseller mittendrin im Wunder
Das Buch „Traum Alp“* der Thurgauerin Daniela Schwegler trifft einen Nerv und nach Aussage einer Älplerin mitten in ein Wunder. Das Thema liege wohl (buchstäblich) in der Luft, erklärt die in Istighofen und Moos aufgewachsene Juristin, Journalistin und Autorin im Interview. Live hören kann man sie am 31. Oktober in der Kantonsbibliothek in Frauenfeld. Im Übrigen ist das Buch zurzeit auf der Bestsellerliste** des Schweizer Buchhandels!
Interview: Brigitta Hochuli
Frau Schwegler, Ihr neues Buch „Traum Alp“ laufe wie warme Semmeln, sagt der herausgebende Rotpunktverlag. Worauf führen Sie das zurück?
Daniela Schwegler: Das Thema Alp und Porträts von Älplerinnen liegen wohl in der Luft. Vielleicht schwingt bei den Leserinnen und Lesern die Sehnsucht nach Naturverbundenheit, Idylle und einem sinnvollen Dasein mit, die sie mit Leben auf der Alp verknüpfen. Ähnlich wie der Schrifsteller und Philosoph Henry David Thoreau, der sich in den Wald zurückzog, um ganz eins zu werden mit einer „Wildheit, die von keiner Zivilisation ertragen werden kann“. Wobei das Leben auf der Alp ja leicht glorifiziert und mystifiziert wird. Es hat nämlich auch seine unerbittlichen Schattenseiten.
Um ein Buch über Älplerinnen schreiben zu können, braucht es nebst Empathie auch Kondition. Woher nehmen Sie sie?
Daniela Schwegler: Ich bin für mein Leben gern in den Bergen: langlaufend, radelnd, weit wandernd, vor allem aber skitourend. Dazu jogge ich regelmässig. Da hab ich mir wohl einen langen Schnauf angewöhnt.
Das wären gute Voraussetzungen, selber Älplerin zu sein. Haben sie darin Erfahrung?
Daniela Schwegler: Nein, Älplerin war ich noch nie, obwohl ich mich neben meiner Berufung als Schreibende schon in vielen Berufen versucht habe. Als Töpferin, Sandwich-Verkäuferin in den SBB-Wagons, Zeitungsverträgerin, Gärtnerin, Altenpflegerin, Rechtsberaterin von Flüchtlingen oder Geschäftsführerin einer Heimatschutz-Sektion. Aber zur Älplerin tauge ich wohl nicht, da ich viel zu gerne ausschlafe. Die Sennerinnen stehen ja mit vier oder fünf Uhr morgens praktisch mitten in der Nacht auf.
Wenn nicht aus eigener Erfahrung, wie sind Sie dann auf das Thema gestossen?
Daniela Schwegler: Aufs Thema Alp gekommen bin ich durch einen Artikel über einen Sennen, Theologen und Schafescherer, den ich für den „Beobachter“ porträtiert habe. Er war so quer und originell, das Skype-Interview mit ihm so inspirierend, dass er mich danach ganz spontan auf die Alp im Berner Oberland einlud. Das war der zündende Funke. Dank seiner Einladung kam ich auf die Idee, Frauen auf der Alp zu porträtieren. Porträts sind sowieso meine Lieblingsdisziplin, da Menschen, ihr Wirken und Sein mich faszinieren. Und Älplerinnen interessierten mich noch eine Spur mehr als Älpler. Da ich wissen wollte, wie sie in einer oft rauen und eher von Männern geprägten Älplerwelt zurechtkommen.
Sie sind ja im Thurgau aufgewachsen. Der hat in einer Tourismus-Kampagne den Slogan "Thurgau: Echt Schweiz, ganz ohne Berge" geprägt. Was sagen Sie dazu?
Daniela Schwegler: Als gebürtige Thurgauerin liebe ich die malerische und idyllische Landschaft des Voralpen-Kantons sehr. Doch die Berglerin in mir braucht regelmässig eine zünftige Brise Alpenluft, weshalb ich ins Zürcher Oberland und damit ein Stück näher an meine geliebten Berge gezogen bin.
Jetzt aber zu Ihrem Buch! Einige Lebenserfahrungen der Älplerinnen in Form von verblüffenden, zum Teil intimen oder sehr lustigen Sätzen haben Sie bereits auf Facebook veröffentlicht, hinzu kommen noch Kochrezepte. Können Sie uns einen Vorgeschmack geben?
Daniela Schwegler: Sennerin Maria Müller von der Bussalp vis-à-vis von Eiger, Mönch und Jungfrau hat sehr kernige Sätze gesagt. Sie wusste schon nach ihrem ersten Alpsommer: „Das ist es! Es reicht am Morgen aufzustehen und die Kühe zu holen, um das Gefühl zu haben, am richtigen Ort zu sein. Auf der Alp werde ich als Person weniger wichtig. Ich gehöre einem Gefüge an, in dem das Wetter und die Kühe und alle Umstände im gleichen Mass eine Rolle spielen. Hier bin ich Teil des Ganzen und darauf angewiesen, dass das Wetter hält, die Kühe gesund bleiben, das Gras wächst. Ich kann viel weniger ausweichen als im Tal, kann nicht zum Zusenn sagen, komm, wir gehen. Oder, die Kühe treten mir ständig auf die Füsse. Komm, wir holen neue. Ich muss mit der Situation umgehen und mich fragen, was mache ich, wenn es mal schneit? Die Kühe müssen ja auch dann gefüttert und gemolken werden. Und so werde ich als Mensch kleiner und das Universum wird grösser. Auf der Alp werde ich andächtig und fange an, die Welt zu verstehen. Es gibt Momente, in denen mir die Worte fehlen und ich nur noch in Bildern sprechen kann. Ich sehe den Sonnenaufgang und stehe mitten drin in diesem Wunder.“
Und die Rezepte?
Daniela Schwegler: Unter den Lieblingsmenüs der Älplerinnen haben es mir die einfachen traditionellen Älplergerichte sehr angetan, darunter das „Put in gromma“ und der „Tatsch“ aus dem Unterengadin oder die Tessiner Ziegen-Formaggini mit Essig und Öl, frischen Tomatenschnitzen und selber gebackenem Brot dazu. Lecker!
***
Daniela Schwegler, Traum Alp, Älplerinnen im Porträt, mit 150 Farbfotos von Vanessa Püntener, 200 Seiten, gebunden Format 13,5 × 20,4 cm, isbn 978-3-85869-557-4, Rotpunktverlag, Zürich
Waschechte Thurgauerin
Daniela Schwegler bezeichnet sich als „waschechte Thurgauerin“. Aufgewachsen ist sie bis zum 20. Lebensjahr je zur Hälfte in Istighofen und im kleinen Bauerndorf Moos bei Weinfelden. Heute ist sie Juristin, freie Journalistin BR und Autorin. Sie schrieb in ihren Anfängen für die damalige „Bodensee-Zeitung“ und die „Thurgaer Zeitung“, heute arbeitet sie unter anderem für die «NZZ», den «Beobachter», «Das Magazin» und die «Schweizer Familie». Früher Inland-Redaktorin bei der Schweizerischen Depeschenagentur (sda), Redaktorin fürs juristische Fachmagazin «plädoyer» und die Kirchenzeitung «reformiert». Seit Mai 2010 ist Daniela Schwegler freischaffend.
Ihre Bücher: «Unter der Haube. Diakonissen erzählen aus ihrem Leben», Huber Verlag, 2011, Co-Autorin von «Abenteuer Familie» (Beobachter), «Netzwerk Solidarität» (Chronos) und «Die schönsten Naturparadiese der Schweiz» (AT).
Traum und Alptraum
Für das Buch „Traum Alp“ hat Daniela Schwegler Älplerinnen unterschiedlichster Couleur auf der Alp besucht. Die dreizehn Frauen zwischen 20 und 75 Jahren erzählen, wie sie den Alpsommer erleben, erleiden und sich an Natur, Tieren, Sonne und Himmelblau erfreuen. Das Buch gibt Einblicke in den gelebten Traum von der Alp, der für einige allzu Blauäugige auch schnell zum Alptraum werden kann. Eindrückliche Reportagefotos von Vanessa Püntener setzen die Älplerinnen und ihren Arbeitsalltag in Szene. Jedes Porträt wird mit einem attraktiven Wandervorschlag von der Alp aus und mit einem Älplerinnen-Rezept abgerundet. (pd)
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Das Buchprojekt von Daniela Schwegler ist 2012 von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau mit 10'000 Franken unterstützt worden.
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