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09.06.2014

Rolf Müllers Kultur-Credo

Rolf Müllers Kultur-Credo
Das Kulturportal thurgaukultur.ch zu lesen soll sich täglich lohnen, findet der neue Redaktionsleiter Rolf Müller. | © Reto Martin

Rolf Müller wird nach einer Übergangszeit von einem Monat am 1. August neuer Redaktionsleiter von thurgaukultur.ch. Er folgt auf seine frühere Arbeitskollegin Brigitta Hochuli, die vor vier Jahren zum Team stiess und nun pensioniert wird. Angesichts der kulturellen Informationsflut stehe er für journalistisches Handwerk mit Augenmass, sagt Müller im Interview.

Rolf Müller, man kennt Sie im Thurgau vor allem als ehemaligen Abteilungsleiter Medien- und Öffentlichkeit bei der Kantonspolizei Thurgau sowie als Mediensprecher auch im Fernsehen. Wie gross ist der Sprung von Verbrechen und Unfällen zur Kultur?

Kleiner, als er auf den ersten Blick erscheinen mag. Seit je haben mich Menschen und ihre Geschichten interessiert. Ihr Antrieb und ihre Abgründe, was sie tun und lassen, wie weit sie gehen. Deliktisches Tun und Kulturschaffen hat durchaus Parallelen: Man tut, was man tun muss, auch ausserhalb von Normen und gängigem Zeitgeist. Natürlich unterscheiden sich die Produkte. Es muss nicht bluten. Letztlich geht es aber immer um die Beschreibung von Spannungen.

Nach der Karriere als polizeilicher Informationschef waren Sie Leiter Unternehmenskommunikation beim Forensischen Institut Ostschweiz. Welche Erfahrungen haben Sie dort gesammelt, die für die Kulturarbeit relevant sein könnten?

In der Forensik gilt, und das deckt sich mit meiner Meinung: Wahnsinn ist relativ. Eine einzig gültige Realität gibt es nicht. Wie es ein russisches Sprichwort sagt: “Er lügt wie ein Augenzeuge”.

Vor der Karriere als polizeilicher Informationschef waren Sie bis 1999 zehn Jahre lang hauptberuflich im Thurgauer und St. Galler Tagesjournalismus tätig. Lässt sich ein Vergleich anstellen zwischen der damaligen regionalen Kulturlandschaft und der heutigen? Was fällt Ihnen in der Entwicklung der hiesigen Kulturszene auf?

Generell fand ein digitaler Tsunami statt. In meinem ersten Jahr als Redaktionsvolontär anfangs der 1990-er Jahre klebten Setzer die Zeitungsseiten noch von Hand zusammen. Recherchiert wurde mittels Telefon und Fax, in Bibliotheken und Archiven. Kulturveranstalter waren auf Agenden und Inserate in den Medien angewiesen. Heute können alle alles selber publizieren, doch ist die Informationsflut inflationär. Darum braucht es neue Medien wie thurgaukultur.ch, die die Angebote redaktionell selektieren, präsentieren und kommentieren. Hier stehe ich für ein gutes journalistisches Handwerk mit Augenmass.

Seit einem Jahr schreiben Sie im Ostschweizer Kulturmagazin Saiten Kolumnen zum Thurgau. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Saiten schätze ich seit der ersten Nummer als unabhängige journalistische Stimme aus der Ostschweiz. Bis heute finde ich aber den reklamierten Ostschweizer Anspruch relativ; das Magazin kommt aus St. Gallen, und das merkt man in der Gewichtung – was ja auch normal ist: man schreibt über Gegenden, in denen man sich auskennt, die man schätzt, an denen man sich reibt. Gemildert werden die monothematischen Tendenzen seit langem mit Kolumnen aus den Restkantonen. Mit derjenigen aus dem Thurgau war ich unterschiedlich zufrieden, je nachdem, wer schrieb. Beim letzten Wechsel empfahl mich ein Freund, der Fotograf Daniel Ammann von ammann-siebrecht.com, der Redaktion. Ich wurde angefragt und habe gerne zugesagt.

Bei der 700-Jahrfeier der Stadt Steckborn waren Sie Gesamtleiter der Kommunikation. Wie wichtig ist Kommunikation im Zusammenhang mit Kultur? Wie möchten Sie dieses Feld für thurgaukultur.ch ausgestalten?

Kommunikation verstehe ich als Vermittler- und Übersetzungstätigkeit. Kultur soll zum Denken, zur Auseinandersetzung mit sich und dem Rest der Welt anregen. Im Steckborner Jubiläumsjahr 2013 war die Agenda reich an Kulturanlässen, auch sperrigen. Damit diese besucht wurden, war es mir ein Anliegen, mittels geeigneter Kommunikation auf allen medialen Kanälen Hemmschwellen abzubauen und gluschtig zu machen. Das funktioniert gut.

Als Ihre Interessensschwerpunkte geben Sie unter anderem Schreiben, Literatur, Photographie und Musik an. Welche Vorlieben haben Sie in diesen Gebieten?

Schreiben und Kommunikation ist seit bald 25 Jahren mein Broterwerb. Ich könnte nicht ohne, aber verstehe Medienschaffende, die irgendwann auf Busfahrer oder Lokomotivführerinnen umsatteln. Berufsschreiber zu sein ist ein Privileg, bedeutet aber auch tägliche Duelle mit dem blinkenden Cursor, der höhnt: Ach, du schreibst? Ist es denn relevant? Notwendig? Und gut? Mh?

Lesen Sie auch?

Weil ich weiss, dass gerade jene Texte, die besonders süffig, leicht und elegant daherkommen, oft das Produkt von veritablen Chrämpfen sind, bewundere ich Literaturschaffende, deren Werke ich verschlinge. Gäbe es Schreibstil auf Chip zu kaufen, würde ich meinen als Mix von Urs Widmer, Jürg Federspiel, Markus Werner, Frisch, Stamm, Capus, Boyle, Chandler, Carver, Yates, Julian Barnes, Philip Roth, Rushdie, Javier Marias und Sedaris konfigurieren. Um nur einige zu nennen.

Ihre photographischen Vorbilder?

Als Berufsjournalist habe ich zehn Jahre lang täglich fotografiert, die Filme selber entwickelt und Abzüge gemacht. Robert Frank ist einer meiner Helden, Arnold Odermatt ein Vorbild. Die besten Bilder gibt es, wenn die Scheinwerfer abgeschaltet werden und die Leute sich entspannen.

Kommt die Musik hinzu.

In der Musik bin ich ein Freak: Meine Wohnungen hatten schon immer mehr Kabel und Boxen als Zimmer. Besonders interessiert bin ich an Schweizer Sound jeglicher Art, aber auch generell an Jazz, HipHop, Fusion, Indie… querbeet. Spotify ist eine Art Religion. Die aktuelle Stichprobe zeigt: Auf meinem Server lagert derzeit ein gutes halbes TB an Soundfiles von CDs in 320 kb/s oder flac.

Klingt alles zusammen ziemlich zeitraubend. Beruflich betreiben sie heute als Selbständiger aber noch ein Büro für Kommunikation. Inwiefern passt die Redaktionsleitung von thurgaukultur.ch zu dieser Aufgabe?

Sie passt hervorragend. Von meinen beruflichen Interessen wie von der Lebenssituation: Meine Frau und ich teilen uns seit dem Nachwuchs partnerschaftlich die Erwerbs- und Familienarbeit. Mein Sohn wird demnächst zehn Jahre alt; ich geniesse jeden Tag mit ihm.

Redaktionsarbeit für thurgaukultur.ch ist mit viel Dienstleistung für Kulturschaffende und Kulturliebende verbunden. Sehen Sie das auch so?

Ganz klar. Einerseits ist da die Ambition, zusammen mit den Kulturschaffenden und Kulturveranstaltenden einen möglichst umfangreichen Agendaservice zu bieten. Und andererseits, mit unseren kompetenten Korrespondenten und Korrespondentinnen von thurgaukultur.ch ein Magazin zu produzieren, welches zu lesen sich täglich lohnt. Zusammen mit der Geschäftsführerin Sarah Thurnheer setzen wir uns auch künftig mit vollem Engagement für die Thurgauer Kultur ein.

Noch eine aktuelle Frage. Bei der „Thurgauer Zeitung“ soll die lokale Kulturseite zugunsten regionaler Kultur im Mantelteil abgeschafft werden. Diese Thurgauer Kulturseite war und ist für die Redaktion von thurgaukultur.ch immer auch Anregung. Ihr online-Angebot versteht sie als Ergänzung. Würde Ihnen das fehlen oder könnten Sie damit leben?

Ich bedauere die geplanten Sparmassnahmen beim „Tagblatt“ und damit bei der „Thurgauer Zeitung“ mit ihren Auswirkungen auf die jeweiligen Kulturteile. Zwar folgt es einer gewissen Logik, dass nun auch die Kultur zur Ader gelassen werden soll. Gleichwohl ist es kurzsichtig und wird namentlich die „Thurgauer Zeitung“ im lokalen Markt weiter schwächen. Schade und umso besser, dass es das Kulturportal thurgaukultur.ch gibt, das die lokale Präsenz kontinuierlich weiter verstärkt. (ho)

 

Rolf Müller

Rolf Müller ist 46 Jahre alt, lebt in Steckborn, hat im Thurgau die Schulen absolviert und arbeitete während rund zehn Jahren als Berufsjournalist, unter anderem beim Thurgauer Volksfreund, beim Thurgauer Tagblatt, bei der Bodensee-Zeitung und beim Anzeiger der St. Galler Tagblatt AG. Der Absolvent der Schweizer Journalistenschule MAZ war Mitgründer einer Kreuzlinger Web-Agentur, bevor er ab 1999 als Verantwortlicher der Unternehmenskommunikation in den Geschäftsleitungen der Kantonspolizei Thurgau sowie des Forensischen Instituts Ostschweiz tätig wurde. Aktuell betreibt er ein Büro für Kommunikation, ist verheiratet und Vater eines zehnjährigen Sohnes. (red)

 

 

 

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