von Sascha Erni, 24.05.2014
Unterwegs zum Online Award
Nomination für Bloggerin, Autorin und thurgaukultur-Korrespondentin Zora Debrunner für den Grimme Online Award: Ein Erlebnisbericht über ihre Reise nach Köln und zurück. - Für einen Publikumspreis kann man übrigens voten!
Text und Bilder von Sascha Erni*
Romanshorn, 20. Mai 2014 – wir stehen am Pier und warten auf unsere Fähre. Sie soll uns nach Friedrichshafen bringen. Das Ziel der Reise: Die «Interactive Cologne» in, nun ja, Köln. Im Rahmen dieses Anlasses stellt das Grimme Institut die Nominierungen für seinen jährlichen Online-Preis vor. Als berufstätige Thurgauerin lag es nahe, statt den Umweg über Zürich-Kloten den kleineren Flughafen in Baden-Württemberg zu wählen. Also warten wir auf die Fähre.
Zora ist angespannt und vorfreudig. Es kommt selten vor, dass Schweizer für «einen Grimme» nominiert werden, sie hat es mit ihrem Blog «Demenz für Anfänger» erreicht. Die NZZ hat es zwei Mal in die Kränze geschafft, letztes Jahr gewann Politnetz den Preis in der Kategorie «Information». Die Bodenseeregion scheint Zora Kraft zu geben, sie saugt auf der Fähre die Heimat richtiggehend ein. Als wir in Richtung Nordrhein-Westfahlen abheben blickt sie wie verzaubert auf das Gewässer unter uns. Es ist erst das dritte Mal in ihrem Leben, dass sie in einem Flugzeug reist.
Wir landen in Bonn. «Gott, ist das alles sauber hier. Und … leer.» Nach dem Wechsel des deutschen Regierungssitzes nach Berlin ist Bonn wirklich nicht viel mehr als ein Flughafen. Agglo. Wir sitzen in der S13, die Fahrt soll rund eine Viertelstunde dauern. Ob sie nervös sei, frage ich Zora. Sie gibt mir eine ironisch hochgezogene Augenbraue zurück. Natürlich.
Wir verlassen den Kölner Hauptbahnhof, gehen an einer Demonstration von DIE LINKE sowie Dutzenden von Polizeiautos vorbei. Willkommen in Deutschland. Und dann stehen wir auf dem Domplatz.
Wir finden das Hotel am Heumarkt, ganz in der Nähe der Trinitatiskirche, in welcher die Nominierung am folgenden Tag stattfinden soll. Zora ist nach Arbeitstag und Flug müde, freut sich aber auf den Anlass. Wir essen Club-Sandwiches in der Hotelbar.
*
Köln, 21. Mai 2014 – Wir sind zu früh. «Nervös?» frage ich erneut. Statt der hochgezogenen Augenbraue gibt es jetzt den Mittelfinger. LOGISCH sei sie nervös! Wir trinken Kaffee in einem Lokal in der Nähe und warten darauf, dass uns um zehn Uhr Einlass gewährt wird.
Dann geht es schnell. Offizielles Nominierten-Bild vor dem Grimme-Banner, Akkreditierung am Schalter der Interactive Cologne, bereitmachen für den Videoclip,
der im Rahmen des Publikumspreises wichtig werden könnte: Neben den durch eine Fachjury vergebenen Preisen pro Kategorie gibt es auch einen allgemeinen Publikumspreis. Ich überlege mir einen Moment, ob ich nochmals die «nervös?»-Frage stellen soll, entscheide mich aber dagegen. Wäre jetzt wohl eher kontraproduktiv.
Die Bekanntgabe der Nominierungen rückt näher. Der Raum droht, aus allen Nähten zu platzen. Überall Videokameras und Fotoapparate, ich erkenne zwei Bundestagsabgeordnete und erfahre später, dass auch Menschen aus dem Landtag zugegen waren. Das Publikum ist gut durchmischt, alle Altersklassen sind vertreten. Ein Herr mit Krawatte und Manschettenknöpfen stellt sich Zora vor, höflichst, es ist Hanspeter Hauke vom SWR. Wir bekommen die Medienmappe vorgelegt und lernen die Mitstreiter kennen. Der SWR ist in derselben Kategorie wie «Demenz für Anfänger» nominiert, «Wissen und Bildung.»
Aber irgendwelche Standesdünkel gibt es heute nicht, keine Diskussionen wegen «Qualitätsjournalismus» oder anderen zu oft gehörten Schlagworten. Jeder im Saal, zumindest an den Tischen der Nominierten, macht ganz einfach das, was er oder sie für richtig hält. Niemand versucht sich als «relevanter» darzustellen, es gibt keine Berührungsängste. Ich merke, dass es hier wirklich nur um die Sache geht, nicht um das Etikett daran. Ob jetzt hinter einem nominierten Projekt die BILD steht oder Jung&Naiv, Arte oder MDR, öffentlich-rechtliches Fernsehen oder Privatperson – nicht relevant.
Beim anschliessenden Apéro treffen wir Christof Gertsch von der NZZ. Der einzige weitere Schweizer in der Runde; das Projekt «Du fliegst nur einmal» über den Snowboarder Iouri Podladtchikov hat es auch auf die Liste der Nominierten geschafft, obwohl die Auswahl-Jury den Namen nicht aussprechen kann. Weshalb die Schweiz so untervertreten ist, wissen wir nicht, können nur grob darüber spekulieren. Berührungsängste Neuem gegenüber? Kaum, wenn selbst die «Alte Tante von der Falkenstrasse» mitmischt. Der Tages-Anzeiger hat eben erst eine grossangelegte Datenjournalismus-Sparte eröffnet. Die Schweiz ist kein Entwicklungsland in Sachen «Internet». Woran liegt es also? Auch nach der dritten Zigarette kommen wir auf keine Erklärung, sind aber hoffnungsvoll. Es bewegt sich etwas, auch in unserer Alpenrepublik.
Zora ist nun merklich entspannter, sogar euphorisch. Sie hatte die Einladung schon vor Wochen erhalten, es hätte keine böse Überraschung geben können. Dennoch, der Druck ist - fürs erste - weg. Im Flugzeug zurück nach Friedrichshafen frage ich sie dann doch:
«Immer noch nervös? Wegen des Finales im Juni?»
«Nein. Ich bin glücklich und geniesse die Wertschätzung.»
Dann lehnt sie sich wieder zurück, und ich verstaue Fotoapparat und Notizbuch im Handgepäck.
*Sascha Erni, Felben-Wellhausen, ist Autor, Bloggger, Fotograf und Lebenspartner von Zora Debrunner.
***
✗ Zora Debrunners nominierter Beitrag
✗ Die offizielle Bekanntgabe der Nominierungen im Köln
Voten für den Publikumspreis!
Eine Fachjury ist nicht alles, das Grimme-Institut setzt seit den allerersten Online-Awards auch auf die Meinung aus dem Netz. Was wäre ein freies Internet ohne Mitbestimmung? Entsprechend gibt es auch immer einen Publikumspreis, der 2014 auf tvspielfilm.de/gewinnspiele/grimme/abstimmung/ zu finden ist. Machen Sie es sich nicht zu einfach, klicken Sie nicht einfach den Namen an, den Ihnen Ihre Freunde vorschlagen. Lesen Sie, sehen Sie, denken Sie nach. Denn genau so zählt Ihre Stimme. (se)
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