von Jeremias Heppeler, 21.12.2017
«Frauen fehlt oft ein gleichgeschlechtliches Vorbild»
Obwohl Meral Ziegler an der Universität Konstanz „Literatur – Kunst – Medien“ studiert, ist die Kreuzlingerin dieser Tage gar nicht so leicht zu erwischen. Die junge Autorin, die 2017 mit dem Förderpreis für Junge Kunst der Stadt Konstanz im Sektor Literatur ausgezeichnet wurde, absolviert ein Praktikum an der Ernst Busch Hochschule für Schauspielkunst. Darüber hinaus ist Meral Ziegler ständig und stetig auf Tour: Als Slam Poetin beliest und bespielt sie die Bretter, die die Welt bedeuten. Wir haben trotzdem einen Weg gefunden, um uns mit ihr über ihre Biografie, Poetry Slam im Allgemeinen und Speziellen und ihren Roman „Feier dich!“ auszutauschen.
Interview: Jeremias Heppeler
Frau Ziegler, wir haben Sie ja neulich aus grosser Mitfreude kurzerhand zur Kreuzlingerin gemacht. Aber eigentlich sind Sie in Berlin geboren und dann in Hamburg aufgewachsen... Schweizer Wurzeln gibt es aber trotzdem?
Meral Ziegler: Mein Vater ist Deutscher und meine Mutter Schweizerin, sogar gebürtig aus Kreuzlingen. Trotz doppelter Staatsbürgerschaft hatte ich dennoch bis zu meinem Umzug wenig Kontakt zur Schweiz, da ich, wie Sie bereits erwähnten, in Berlin geboren und in Hamburg aufgewachsen bin.
Wenn man über Sie spricht, dann als "Poetry Slammerin" – sind Sie mit dieser Zuweisung eigentlich zufrieden?
Im Prinzip bin ich mit der Bezeichnung eine Poetry Slammerin/Slam Poetin zu sein, zufrieden. Ich schreibe Texte für die Bühne und trete mit diesen zumeist im Wettbewerb auf. Natürlich fände ich es schade, wenn all die anderen Projekte, die ich angehe aufgrund der vielleicht einseitig wahrgenommenen Zuschreibung vergessen werden würden, wie zum Beispiel das Jugendbuch „Feier dich!“, welches ich 2015 in der Jugendbuchreihe „#textgold“ im Oetinger34 Verlag veröffentlichen durfte. Ich bin eben nicht „nur“ Slam Poetin, sondern auch Autorin.
Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Auftritt auf der Bühne? War das eine grosse Überwindung, auf der Bühne zu performen?
Meinen ersten Auftritt hatte ich 2009 bei einem U20 Poetry Slam auf einem Hausboot im Hamburger Hafen. Meine damalige Deutschlehrerin machte mich erstmals auf das Format Poetry Slam aufmerksam und ermutigte mich einen Text dort vorzutragen. Auf den Auftritt selbst freute ich mich eher als dass es mich Überwindung gekostet hätte. Vor Publikum zu stehen und Selbstverfasstes vorzutragen hat mir schon damals viel Spass bereitet und tut es immer noch.
Video: Meral Ziegler auf der Bühne
Wer Sie schon einmal lesen gehört hat, der weiss, dass Sie auf der Bühne ein Vollprofi sind – wieviel Performance steckt im Poetry Slam?
Da sich die Texte sowohl inhaltlich, als auch in der Vortragsweise stilistisch extrem unterscheiden können, obliegt der Performance-Anteil des jeweiligen Textes der oder dem Auftretendem. Es kann durchaus passieren, dass sich ein Publikum von einem gut performten, allerdings inhaltlich eher schwachem Text blenden lässt und dementsprechend applaudiert, genauso kann ein inhaltlich starker, aber performance-armer Text abgestraft werden. Letztendlich entscheidet bei einem Poetry Slam eben immer eine wahllos ausgewählte Jury, die keinerlei Fachkenntnisse hat, sondern nur nach Geschmack urteilt. Und über Geschmack lässt sich streiten, wie ja jeder weiss.
Wie wichtig ist Schreiben für Sie?
Das Schreiben für mich, aber auch für die Bühne, stellt mittlerweile einen so grossen Teil meines Lebens dar, dass ich es durchaus als überlebenswichtig bezeichnen würde. Hobby und Leidenschaft wird es wahrscheinlich immer bleiben.
Sie sind Vorstandsmitlgied von Slam Alphas – gibt es für Frauen im Poetry Slam Probleme?
Slam Alphas ist ein von Poetry Slammerinnen und Slam Veranstalterinnen gegründeter Verein, welcher sich für die Förderung von Mädchen und Frauen in der Poetry-Slam-Szene einsetzt und ihnen die Möglichkeit geben möchte mehr Raum einnehmen zu können. In der Poetry-Slam-Szene gibt es unter anderem ein Nachwuchsproblem für Mädchen und Frauen. Im U20 Bereich hat man ein ungefähres Verhältnis von 70 Prozent weiblichen zu 30 Prozent männlichen Teilnehmern im Wettbewerb. Im Ü20 Bereich kehrt sich das Verhältnis um. Dieses Phänomen hat viele Faktoren und ist natürlich auch kein Besonderheit. Es fehlt Mädchen und Frauen oft die Identifikationsfigur oder ein gleichgeschlechtliches Vorbild. In den Augen der Slam Alphas-Mitglieder stellt das einerseits ein strukturelles Problem dar, da fast alle Slam-Veranstalter männlich sind und somit keine weibliche Ansprechpartnerinnen für Mädchen und Frauen zur Verfügung stehen. Leider spielt aber auch oft die fehlende Bereitschaft der Veranstalter eine Rolle, sich um eine 50/50 Quote bei Slam Veranstaltungen zu bemühen. Slam Alphas setzt sich ebenfalls gegen Missbrauch und sexuelle Übergriffe innerhalb der Slamszene ein. Sexismus am Arbeitsplatz kann in jedem noch so aufgeklärten Umfeld auftreten und sollte deswegen thematisiert werden.
Video: Meral Ziegler auf der Bühne (2)
Ich finde es zwar wahnsinnig gut, wichtig und interessant, dass Literatur auch 2017 so unfassbar erfolgreich sein kann, hab aber doch meine Probleme mit der hiesigen Szene. Schaut man nach Frankreich, dann ist der Poetry Slam dort sehr hart. Sehr politisch. Für mich geht es hierzulande immer ein wenig harmlos zu – ist das eine falsche Beobachtung?
Poetry Slams bieten eine Plattform für jede Art von Texten. Egal ob lustig, traurig, seltsam, Prosa, Lyrik oder eine Mischform aus Beidem. Frankreichs Poetry-Slam-Szene unterscheidet sich enorm von der deutschen Slam-Szene. Die Texte sind deutlich kürzer, fast immer lyrisch und oft politisch, allerdings ist der Veranstaltungsrahmen deutlich kleiner und dementsprechend auch nicht so professionell. Tatsächlich kann es durchaus sein, dass man in Deutschland von Region zu Region Unterschiede bezüglich der Präferenzen des Publikums feststellen kann. Auch ich habe den Eindruck, dass die Konstanzer ein sehr lachfreudiges Publikum sind und kritische oder experimentelle Stimmen es durchaus schwerer haben können. Andernorts kann das aber schon ganz anders aussehen. Ernste, traurige, politische und/oder lyrische Stimmen sollten sich trotz des manchmal etwas undankbaren Feedbacks nicht entmutigen lassen und auf deutschsprachigen Slam-Bühnen immer einen Platz haben, denn bloss die Diversität der vorgetragenen Texte machen das Format zu einem so spannenden und auch erfolgreichen.
Kann es für einen jungen Autoren nicht auch ein Problem sein, wenn er zwangsläufig ein Publikum immer mitdenken muss?
Wenn man bei einem Poetry Slam mitmacht, trifft man bewusst die Entscheidung Texte zu schreiben, die das Publikum mitdenken. Natürlich kann man auch Texte vortragen bei denen das Publikum ausser acht gelassen wird, allerdings hat es diese Art von Texten meistens schwerer im Wettbewerb. Viele meiner Slam Kollegen und Kolleginnen schreiben auch abseits der Bühne. Möchte man als junger Autor ohne den ständigen Druck leben von einer ahnungslosen Jury bewertet zu werden - was vollkommen nachvollziehbar ist - dann sollte man Poetry Slams meiden.
Gibt es Projekte und Ideen, die Sie unbedingt in Zukunft noch angehen möchten?
Ich habe grosse Lust ein weiteres Buch herauszubringen. Ich denke lieber in kleinen Schritten und werde als nächstes grosses Projekt meine Bachelorarbeit in Angriff nehmen.
Voller Einsatz: Meral Ziegler bei einer Performance auf der Bühne. Bild: Jan Brandes
Weitere Beiträge von Jeremias Heppeler
- „Der Thurgau ist ein hartes Pflaster!“ (08.07.2024)
- Sehenden Auges in den Sturm (08.05.2023)
- Die Superkraft der Literatur (17.04.2023)
- Auf zu neuen Welten! (27.03.2023)
- Die Tücken der Vielfalt (15.12.2022)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Literatur
Kommt vor in diesen Interessen
- Interview
Ähnliche Beiträge
Post vom Grüffelo-Erfinder
Axel Scheffler hat über 120 Kinderbücher mit seinen Kunstwerken illustriert. Über Jahrzehnte gesammelte Briefumschläge stehen jetzt im Zentrum einer neuen Ausstellung in Konstanz. mehr
Frau Gahse, wie geht es der Sprache?
Vor 26 Jahren fragte die vielfach ausgezeichnete Autorin Zsuzsanna Gahse in einem Buch: Wie geht es dem Text? Anlässlich der Neuauflage des Bandes haben wir die Frage neu formuliert. mehr
«Die Klimakrise ist einfach nicht wegzudenken.»
Die Wälder brennen, die Krise ist Dauerzustand: Franziska Gänslers „Ewig Sommer“ ist so etwas wie der Roman der Stunde. Bei den Weinfelder Buchtagen stellt sie ihn vor. mehr