von Brigitte Elsner-Heller, 25.08.2017
Am Anfang war die Zeichnung
Das Kunstmuseum Thurgau (Kartause Ittingen) rückt mit der neuen Ausstellung „Adolf Dietrich – Mondschein über dem See“ den bekannten Maler als Zeichner in den Mittelpunkt. Viele Leihgaben, vor allem bei den Ölgemälden, weisen dabei über die Bestände des Ittinger Archivs hinaus.
Von Brigitte Elsner-Heller
Zunächst einmal war sie klein, die Welt, in die der Maler Adolf Dietrich 1877 hinein geboren wurde. Er war das jüngste der sieben Kinder von Heinrich und Dorothea Dietrich, die in Berlingen am Untersee in dem kleinen Haus wohnten, das heute als Museum für Besucher offensteht (Adolf Dietrichs Malstube blieb unverändert erhalten). Diese Welt war für den begabten und sensiblen Sohn allerdings schon früh ein Ort, an dem sich unzählige Blicke sammeln liessen – nicht zuletzt solche auf die Natur. „Im November 1877 als jüngstes v. 7 Geschwister Hier geboren, hatte ich schon in frühester Jugend Liebe & Interesse an der Natur“, schrieb er 1919, noch bevor er als Maler seinen Durchbruch erlebte. Bis heute prägen die etwa 1.000 Gemälde die öffentliche Wahrnehmung Adolf Dietrichs.
Adolf Dietrich, Gemüsestillleben mit Mäusen und Kaninchen, 1928, Öl auf Karton (Aufnahme: Brigitte Elsner-Heller)
Der Maler als Zeichner?
Das Kunstmuseum des Kantons Thurgau in der Kartause Ittingen widmet sich ein weiteres Mal dem wohl bekanntesten Maler des Kantons, dessen Nachlass sie verwaltet, wobei dieses Mal der Schwerpunkt auf der Zeichnung liegt, die der Malerei Adolf Dietrichs – wohl naturgemäss – voraus ging. Nachdem 2002 noch die Malerei und die aufgefundene Korrespondenz im Mittelpunkt einer umfassenden Retrospektive stand und 2007 dazu noch die Bedeutung der Fotografie im Werk Dietrichs beleuchtet wurde, rückt man nun mit der aktuellen Ausstellung, die mit zahlreichen Leihgaben bestückt ist und nicht nur das Archiv „sichtbar“ macht, mit der Zeichnung auch der Arbeitsweise des vielseitigen Autodidakten noch näher. Unbestritten ist, dass etliche der nun ausgestellten Zeichnungen als eigenständige Kunstwerke gelten können.
Adolf Dietrich, Vier Hasen, 1904, Kreide auf Papier (Brigitte Elsner-Heller)
Adolf Dietrich aber primär als Zeichner zu sehen, könnte Anlass zu Diskussionen bieten. Schließlich werden in der Kartause Ittingen die Zeichnungen auch und vor allem als Skizzen für Ölbilder präsentiert. Oder als Sammlungen von Bildelementen, die Adolf Dietrich gern als „Muster“ für Bildkompositionen aufgriff. Und ist die Zeichnung nicht immer ein vorausgehendes Medium, das Sehen und Planung zusammenfasst – egal, ob ein Gemälde, eine Installation oder ein Bühnenbild daraus hervorgeht?
Adolf Dietrich, Untersee mit Rebbergen, Zeichnung
Adolf Dietrich, Frühling am Untersee, 1919, Öl auf Karton, Privatbesitz
Ausgangspunkt: Die Skizzenbücher
Willi Tobler, der im Vorstand der Thurgauischen Kunstgesellschaft ist (sie ist im Besitz des Nachlasses), hatte den Anstoss zur jetzigen Ausstellung gegeben, indem er sich eingehender mit den nachgelassenen Skizzenbüchern beschäftigte, sie fotografierte und einordnete. Dass sich zwischen den Skizzen auch Kochrezepte fanden, gehört zu den sympathischen Zügen, die man Adolf Dietrich ohnehin gern zuschreiben möchte, wenn man seine Malerei vor Augen hat. Noch in diesem Herbst wird eine Publikation zur Ausstellung erscheinen, in der dieser Teil näher beleuchtet wird.
Zu den ersten Eindrücken tragen die Zeichnungen bei, die Adolf Dietrich noch in seiner Schulzeit angefertigt hat. Da hatte der Lehrer August Oswald das Talent seines Schülers entdeckt und ihm verschiedene Aufgaben gestellt: „Seine beiden bedeutend älteren Brüder teilten meine Ansicht, den Knaben aufgrund seiner zeichnerischen Begabung einem tüchtigen Lithographen in die Lehre zu geben. Diesem Vorschlag widersetzten sich die Eltern energisch. Lithographie sei ein Beruf für reiche Leute und nicht für arme“, erinnerte er sich später.
Der Autodidakt übt sich an der Zeichnung
Die Ausstellung zeigt, wie sich der junge Adolf Dietrich, der als Maschinenstricker und Gleisbauer arbeitete, autodidaktisch weiter bildete. Während er sich darin übte, Naturdarstellungen oder Stadtansichten zeichnerisch zu kopieren, versuchte er gleichzeitig, Geschäftsideen zu entwickeln. So präsentiert die Werkschau neben Tieraquarellen auch zwei „Heldenporträts“ von Burengenerälen, die allerdings keine Käufer fanden. Erst auf Ratschlag der beiden Künstler Fritz Voellmy und Bruno Goldschmitt wendet sich Adolf Dietrich der direkten Darstellung nach der Natur zu. 1903 zeichnet er auch sein erstes Selbstbildnis, das in der Ausstellung einer Reihe von späteren Gemälden zur Seite gestellt wird.
Selbstbildnis mit Handorgel, 1906, Kohle auf hellbraunem Papier, Nachlass Adolf Dietrich
Auch wenn sich Adolf Dietrich dabei auch einmal als Künstler mit Zeichenstift präsentiert, ist ihm der selbstbewusste Gestus doch eher fremd. Fast schon irritierend wirkt der offene, Sensibilität versprechende Blick, während die Hände erstaunlich groß und von wie von schwerer Arbeit gezeichnet festgehalten werden. 1905 bestellt der ältere Bruder Porträts der Eltern – auch sie sind beeindruckend. Und Gemälde in Öl.
1913 werden erstmals einige Gemälde in der Wessenberg-Galerie in Konstanz ausgestellt, wobei Adolf Dietrich erst 1919 im Zuge der Mannheimer Ausstellung „Das Badische Land im Bild“ bekannter wird, bei der Herbert Tannenbaum auf ihn aufmerksam wird und ihn von da an fördert. Der Durchbruch erfolgt 1925, später auch international.
Motive werden mehrfach verwendet
Mit der aktuellen Ausstellung greift das Kunstmuseum vor allem den Vorgang der Entwicklung auf, der Übung. Bildkompositionen werden mit Hilfe von Zeichnungen angelegt, einzelne Elemente in verschiedenen Kontexten eingesetzt. Zum Teil fertigte Adolf Dietrich auch Kopien eigener Arbeiten an – entweder, weil er selbst sich von einem Motiv nicht hatte trennen können, (was bei der Darstellung des alten Vaters auf der steilen Treppe des Berlinger Hauses der Fall gewesen sein könnte), dann später aber wohl auch, weil er Motive mehrfach versprochen oder verkauft hatte.
Aktuell sind die Brüche
Das Thema Adolf Dietrich, der Mythos auch, bietet immer wieder neue Facetten. Dass man sich erneut darauf einlassen mag, liegt an der menschlichen Art, die manches Mal auch als „naiv“ bezeichnet wird. Wobei die Malerei Adolf Dietrichs diesem Etikett nicht ganz entspricht. Sie wirke auf seltsame Weise auch aktuell, sagt Markus Landert etwa und weist auf die Inkohärenz hin, die manches Mal durch das Montieren von Vorder- und Hintergrund auftritt. Der vermeintliche Photorealismus der Bilder baut auf Adolf Dietrichs Zeichenkunst – soweit ist der Ansatzpunkt der Ausstellung sicher gut gewählt. Die anhaltende Faszination ergibt sich aber durch diese Brüche im deutlich Sichtbaren. Die Irritation der Moderne, hier ist sie vielleicht wieder. Mitten in der Natur, sogar zwischen Meerschweinchen und Vögeln.
Adolf Dietrich – Mondschein über dem See.
Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau, Kartause Ittingen.
27. August bis 17. Dezember 2017
Vernissage Sonntag, 27. August 2017, 11.30 Uhr
(Grußwort von Regierungsrätin Monika Knill, Leiterin Department für Erziehung und Kultur, sowie von Karl Studer, Präsident Thurgauische Kunstgesellschaft. Einführung von Markus Landert und Willi Tobler).
www.kunstmuseum.ch
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