07.10.2016
"Stiftung ist nichts vorzuwerfen"
Der Thurgauer Regierungsrat antwortet auf einen Kantonsräte-Vorstoss zur Kulturstiftung des Kantons. Das Fazit: „Der Kulturstiftung sind keine Mängel bei der Vergabe der Förderbeiträge vorzuwerfen." Dafür sorge unter anderem eine differenzierte Expertisen-Praxis. Die Regierung operiere mit falschen Zahlen, kontert Interpellant Urs Martin von der SVP. Er sei enttäuscht.
Die Gründung der Kulturstiftung im Jahr 1991 sei ein Meilenstin für die Kulturförderung gewesen, betont der Regierungsrat in der Einleitung zu ihrer Interpellationsantwort. Damit habe man die zeitgenössische Kunst explizit losgelöst von politischen Debatten unterstützen wollen. Da die Förderung nicht zuletzt durch die Professionalisierung im künstlerischen Ausbildungsbereich zugenommen habe (finanziell von 800 000 auf heute jährlich 1,1 Millionen Franken), seien auch strenge Beurteilskriterien massgebend. Aus einer beigelegten Statistik geht hervor, dass die unterstützten Gesuche von 1991 bis 2015 kontinuierlich von 14 auf jährlich 85 gestiegen sind.
Die Interpellationsfragen von SVP-Kantonsrat Urs Martin und 45 Mitunterzeichnern unter dem Titel „Kulturstiftung des Kantons Thurgau: ein Selbstbedienungsladen?" und die Antworten des Thurgauer Regierungsrats übernehmen wir im Wortlaut:
1. Wie erklärt der Regierungsrat, dass die Stiftung in den Jahren 2010 bis 2014 über eine halbe Million Franken an Stiftungsräte oder ihnen nahestehende Kulturorganisationen bezahlt hat?
Der vom Interpellanten genannte Betrag („über eine halbe Million Franken") entspricht nicht der Realität. Tatsache ist, dass in den fünf Jahren von 2010 bis 2014 Beiträge in der Höhe von insgesamt 366 900 Franken an Projekte von Mitgliedern des Stiftungsrates oder an dem Stiftungsrat nahestehende Kulturinstitutionen oder Personen ausgerichtet wurden. Dies entspricht 6,7 Prozent der insgesamt verfügbaren Mittel von 5 500 000 Franken.
Ziff. 4 der Stiftungsurkunde legt fest, dass der Stiftungsrat aus drei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, drei Kulturschaffenden und drei Kulturvermittlern zusammengesetzt sein muss. Dass diese Regelung zu Interessenkonflikten führen kann, wenn aktive, profilierte und produktive Kulturschaffende und Kulturvermittler mit Bezug zum Kanton im Stiftungsrat vertreten sind, ist nicht auszuschliessen.
Andererseits muss es diesen Personen während ihrer Tätigkeit im Stiftungsrat möglich sein, an ihren Projekten zu arbeiten und gegebenenfalls ein Gesuch an die Kulturstiftung zu richten. Dasselbe gilt für Personen, die dem Stiftungsrat in irgendeiner Weise nahestehen. Alles andere käme einem Berufsverbot gleich.
Die Zusammensetzung des Stiftungsrates gemäss Stiftungsurkunde soll verhindern, dass sich ein „Verwaltergeist" breitmacht. Gleichzeitig soll Fachwissen für die Beurteilung der Gesuche gesichert werden, denn fundierte Expertisen und Beurteilungen sind unabdingbar für jede Förderstelle. Es ist wichtig, dass die Perspektive der Kulturschaffenden und der Kulturvermittler in die Beurteilung einfliesst.
2. Entspricht diese Förderdichte (siehe Frage 1) dem Durchschnitt der restlichen Kulturschaffenden, welche Gesuche eingereicht haben, oder ist eine Abweichung erkennbar?
Die Förderdichte entspricht dem Durchschnitt der restlichen Projektförderung, wie den nachfolgenden Vergleichszahlen zu entnehmen ist:
3. Verfügt die Kulturstiftung über eine Corporate Governance, die die direkte und indirekte Selbstbegünstigung der Mitglieder des Stiftungsrates ausschliesst?
Die Kulturstiftung strebt eine verantwortungsvolle Unternehmensführung mit dem Ziel an, das Vertrauen in den Stiftungsrat der Kulturstiftung zu fördern. Fairness und Transparenz werden hochgehalten. Vor der Vergabe von Geldern durch die Kulturstiftung wird ein externes Gutachten eingeholt. Für Gesuche, die Stiftungsräte oder ihnen nahestehende Personen in irgendeiner Weise betreffen, werden zwei externe Gutachten bei ausgewiesenen Fachpersonen eingeholt. Diesen Gutachten wird bei der Entscheidfindung grosses Gewicht beigemessen. Bei allen anderen Gesuchen werden ein externes und ein internes Gutachten eingeholt. Dabei gelten klare Ausstandsregeln: Vom Ausstand betroffenen Personen wird keine Einsicht ins Dossier, in Gutachten und Protokolle gewährt. Während der Diskussion des Gesuchs muss die betroffene Person den Sitzungsraum verlassen. Dies gilt auch für die Evaluationssitzung, in der jeweils Ende Jahr die abgeschlossenen Projekte nochmals diskutiert werden.
Vom Regierungsrat wurden mit Beschluss Nr. 337 vom 11. Mai 2010 Richtlinien zur Public Corporate Governance verabschiedet. Diese schreiben für öffentliche Unternehmen der Kategorie 2, worunter die Kulturstiftung einzuordnen ist, strategische Ziele, ein Organisationsreglement und - soweit der Regierungsrat zu deren Erlass befugt ist - eine Eigentümerstrategie vor. Die Kulturstiftung verfügt neben der Stiftungsurkunde über ein Geschäfts- und Spesenreglement. Das Geschäftsreglement legt insbesondere die Beurteilungsabläufe und die Ausstandsregeln fest.
4. Kontrolliert der Regierungsrat die Einhaltung dieser Grundsätze (der Corporate Governance)?
Gemäss Ziff. 7 der Stiftungsurkunde erfolgt die Berichterstattung über die Verwendung der Stiftungsgelder jährlich mit einem Kurzbericht zu Handen des Stiftungs- und des Regierungsrates und am Ende jeder Amtsperiode mit einem ausführlichen, auch für die Öffentlichkeit bestimmten Bericht. Des Weiteren bietet die Kulturstiftung durch laufend aktualisierte Angaben zur Fördertätigkeit auf der Webseite kulturstiftung.ch Einblick in ihre Arbeit.
Die Chefin des Departementes für Erziehung und Kultur (DEK) nimmt ein Mal jährlich an einer Stiftungsratssitzung teil. Treffen mit dem Gesamtregie- rungsrat finden alle vier Jahre statt. Alle zwei Wochen erfolgt ein Austausch mit dem Kulturamt über eingegangene Gesuche. Zusätzlich waltet die Finanzkontrolle des Kantons Thurgau als Revisionsstelle der Kulturstiftung (Ziff. 8 Stiftungsurkunde) und überprüft die Jahresrechnungen (Bilanz und Stiftungsrechnung).
Anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Kulturstiftung evaluierte die kantonale Kulturkommission im Jahr 2011 die Kulturstiftung, nahm eine Standortbestimmung vor und gab Empfehlungen zu Handen der Kulturstiftung und des Regierungsrates ab. Die Evaluation fiel positiv aus.
5. Entscheidet die Kulturstiftung nach klaren, transparenten und auch von aussen nachvollziehbaren Kriterien?
Die Kriterien der Kulturstiftung sind auf der Webseite der Kulturstiftungl einsehbar. Sie sind transparent und nachvollziehbar. Bei Unklarheiten steht das Stiftungsbüro den Gesuchstellenden zur Verfügung.
6. Wäre es nicht möglich, in den Stiftungsrat ausschliesslich Personen zu wählen, die sowohl kulturell kompetent als auch bereit sind, während ihrer Mandatszeit für sich und für ihnen nahestehende Kulturorganisationen auf eine Förderung durch die Stiftung zu verzichten?
Wie unter Frage 1 dargelegt, ist die Zusammensetzung des Stiftungsrates durch die Stiftungsurkunde vorgegeben. Darüber hinaus kann es nicht im Interesse des Kantons sein, profilierte Kulturschaffende und Kulturvermittler von ihrer Partizipation und Mitgestaltung des kulturellen Lebens im Thurgau abzuhalten. Mit ihren Aktivitäten tragen sie zu einem lebendigen, vielfältigen Kulturleben im Kanton bei.
Wenn der Stiftungsrat mit Personen zu besetzen ist, die kompetent, profiliert, gut informiert und vernetzt sind, ist in einem mittelgrossen Kanton wie dem Thurgau die Wahl von kulturell aktiven Personen in den Stiftungsrat die Folge. Wichtig sind deshalb transparente Vergabekriterien sowie eine strikte Anwendung der Ausstandsregeln bei Befangenheit.
7. Ist der Regierungsrat bereit, künftige Zahlungen aus dem Lotteriefonds an die Kulturstiftung erst dann freizugeben, wenn die Grundsätze der korrekten Corporate Governance umgesetzt sind? Müsste hierzu nicht die Finanzkontrolle des Kantons und/oder die Stiftungsaufsicht eingeschaltet werden?
Der Kulturstiftung sind keine Mängel bei der Vergabe der Förderbeiträge vorzuwerfen. Die Umsetzung der Grundsätze der Public Corporate Governance ist ein permanenter Prozess, dem der Regierungsrat auch in Zukunft hohe Aufmerksamkeit schenkt. Die Ausführungen zur Frage 4 zeigen, dass die Kontrolle auf verschiedenen Ebenen greift. Dazu gehören auch die Kontrolltätigkeiten der Finanzkontrolle des Kantons Thurgau und der Stiftungsaufsicht. (red)
"Chinesische Mauer"
Während Stiftungsratspräsidentin Claudia Rüegg zur Antwort der Regierung auf die Interpellation „Kulturstiftung des Kantons Thurgau: ein Selbstbedienungsladen?" erst nach deren Diskussion im Grossen Rat Stellung beziehen will, nimmt der SVP-Kantonsrat Urs Martin im Namen der Interpellanten kein Blatt vor den Mund. „Ich bin enttäuscht von der Antwort des Regierungsrates", kommentiert er auf Anfrage von thurgaukultur.ch.
Wie beim Kunstmuseum sei eine Stiftung, die zu praktisch 100 Prozent von öffentlichen Geldern lebe, als chinesische Mauer eingebaut worden, um die Vergabe der öffentlichen Mittel jeder Kontrolle zu entziehen. „Dass der Regierungsrat die Vetterliwirtschaft noch schönschreibt, macht die Sache nicht besser, sondern schlechter." Hinzu komme, dass der Regierungsrat falsche Zahlen aufliste. Urs Martin kündigt an, dies dann bei der Beratung im Parlament richtig zu stellen. (ho)
Die Interpellation vom 4. Mai 2016
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Vorstoss gegen Kulturstiftung (mit einer Stellungnahme von Sitftungsratspräsidentin Claudia Rüegg und kommentiert von Kurt Schmid in sieben Fragen an Urs Martin)
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