von Patrizia Barbera, 15.07.2015
"Wir planen wie für Zürich"
Nach der Sanierung der Werft und der Erneuerung der Plattform am Hafen Romanshorn wurde heute nun auch das eigens von der SBS entworfene Restaurant „Hafen“ eröffnet. Ein Spaziergang übers Gelände und Gespräch über die „unterschätzte Provinz“ als Unternehmensstandort mit SBS-Verwaltungsratspräsident Hermann Hess und den Verantwortlichen des Projekts.
Ein, zwei...fünf Mal. Man kann im 15-Minutentakt mitzählen und sich sicher sein: Gleich beginnt es wieder, das Nase-zur-Tür-Hereinstrecken. Immer wieder derselbe neugierige Blick. Immer wieder dieselbe enthusiastische Antwort von Hermann Hess: „Grüezi mitenand! Wir sitzen hier nur informell schon zusammen. Aber morgen eröffnen wir ganz offiziell – kommen Sie gerne vorbei!“
Die Stimmung ist gut, auch im Voreröffnungstrubel einen Tag vor dem offiziellen Start: Architektin Susanne Fritz, Projektleiter Benno Gmür und SBS-Verwaltungsratspräsident Hermann Hess bei einem ersten Glas Wein aus der Küche. (Bilder: Patrizia Barbera)
Es ist Dienstagabend, die letzten Stunden vor der Eröffnung des Restaurants sind angebrochen. Das Servicepersonal huscht energiegeladen durchs Innere des Restaurants und bereitet sich auf den ersten Tag vor, während die verantwortliche Architektin letzte Instruktionen für die Platzierung von Lampen und Toiletten-Mülleimern gibt.
Die Neugierde rund um das neue Restaurant „Hafen“ in Romanshorn ist gross. Knapp eineinhalb Monate nach der offiziellen Einweihung der neu gestalteten Hafenplattform und Werft eröffnete nun auch das mit Spannung erwartete Gastroprojekt der Schweizerischen Bodensee Schifffahrt (SBS).
100 Gäste haben im Aussenbereich platz, 80 im Innenbereich des Restaurants. Für Grossveranstaltungen könnten sogar bis zu 1200 Gäste auf der neu gestalteten Hafenplattform bewirtet werden.
Das Ende eines „inszenierten Irrsinns“
Es war ein langer Weg hierher. Hermann Hess, der neben seiner Rolle als SBS-Verwaltungspräsident auch Kantonsrat und Unternehmer ist, denkt beim ersten Glas Wein aus der Küche (die auch als Ausbildungsort der Servicekräfte auf den Schiffen dienen soll) an die Kämpfe und vielen Detailplanungen der letzten Monate zurück.
„Was die Schweizerische Bundesbahn hier zuvor am Hafen jahrelang inszeniert hat, war absoluter Irrsinn“, sagt Hess mit kritischem Blick. Viel sei geredet worden, nichts passiert. Die Umgestaltung des Hafens – sie war im Vorfeld umstritten und von Machtkämpfen zwischen der SBS und der Bodensee-Schiffsbetriebe (BSB), die ihren Sitz in Konstanz hat, geprägt. Lange ging es darum, wer welche Grundstücke und Gebäude kaufen und umbauen darf. Eine Kontroverse, die eine Gruppe Investoren – darunter auch Hess – dazu bewog, gemeinsam mit der Stadt Romanshorn den Umbau in die Hand zu nehmen. Doch auch nach der Einigung zwischen der Stadt Romanshorn und der SBS hörten die Kontroversen um den geplanten Neubau nicht auf. „Wie gut die Entscheidung trotz aller Hürden war, sehen Sie an diesem wundervollen neuen Areal und der Begeisterung der Besucher über diesen neuen Gastro- und Tourismusknotenpunkt.“
Hollywood-Flair statt "Bahn-Wartesaal-Chic"
Sowohl bei der Auswahl des verantwortlichen Architektur-Büros (den Zuschlag bekam Susanne Fritz und die Firma „virtual design unit“ mit Sitz in Zürich) als auch bei den kleinsten Details im Restaurant legten Hess und Benno Gmür, Delegierter des Verwaltungsrats der SBS und Projektverantwortlicher, Wert auf Details – und oft selbst Hand an.
Die Tapete des Restaurants wurde in Los Angeles hergestellt - von einer Firma, die sonst die Hintergründe für Hollywoodfilme macht. Sie zeigt alle Fische des Bodensees.
„Die Mosaiksteinchen in den Wellnesstoiletten habe ich mir selbst angeschaut in New York, bevor wir so viel Geld dafür investiert haben. Und bei der Rückreise habe ich diverses Interieur selbst importiert“, erzählt Gmür amüsiert. Auch Architektin Susanne Fritz hat die Detailliebe gepackt. Eigens für das Restaurant in der Region hergestellte Tische wechseln sich mit Fundstücken von Jungdesignern und einer eigens angefertigten Tapete eines Herstellers aus Hollywood ab.
Das Ende eines langen Weges
Die Eröffnung des Restaurants ist Teil des Erweiterungsbereiches „Gastro“ der SBS. Neben der Werft, die gemeinsam mit der Plattform am Hafen im Mai eröffnet wurde, ergänzen die Fähre, die Uferschifffahrt sowie die Sommer- und Charterschifffahrt die Projektbereiche, die nach und nach erneuert werden.
„Auf den ersten Blick erscheinen diese Investitionen natürlich widersprüchlich“, stellt Gmür fest, der für das grosse Umbauprojekt verantwortlich war. Er spielt damit auch an auf die Proteste der Bürger, die kritisch waren aufgrund der grossen Investitionen. Dass nicht zunächst die Schiffsflotte erneuert wurde, sondern erst das Inventar, erzeugte Skepsis.
Auch die Werft wurde umfassend saniert. Sie ist nun die grösste und modernste am Bodensee.
SBS-Verwaltungsratspräsident Hess erklärt den Widerspruch: „Zum einen sind unsere Schiffe nun auch bald dran – vorher waren sie einfach nicht erneuerungsbedürftig und sehr gut in Stand. Und zum anderen zeigen die schwarzen Zahlen, die wir schreiben, sowie die Freude über den Hafen, dass es die richtige Entscheidung war.“ Die Hoffnung darauf, dass sich die hohen Investitionen gelohnt haben und nun Geld einbringen, sind sehr gross. „Da kommt er schon, der Cashflow“, sagt Hess mit einem Augenzwinkern und Blick auf ein Schiff, das gerade anlegt und auf den Hafen strömende Touristen und Heimkeherer entlässt.
„Man darf die Provinz nicht unterschätzen!“
Nicht nur in die Gastro wurde investiert, auch in die Werft, die nun die grösste und modernste am Bodensee ist. Wie kam es zu so viel Investitionen? Gerade in Romanshorn?
„Man darf die Provinz nicht unterschätzen“, sagt Hess mit entfachter Leidenschaft in der Stimme. „Es wäre fatal zu sagen: Das ist ja nur ein Projekt für Romanshorn. Falsch! Man plant genauso für Romanshorn wie für Zürich. Die Ansprüche sollten nicht geringer sein.“ Die Häuser seien im Kanton Thurgau ebenso modern und auf ökologisch neuestem Stand gebaut wie in Zürich. Nur oft zum halben Preis.
Auch Fritz wirft ein: „Ich muss zustimmen: Ich habe in den drei Monaten hier vor Ort mehr erfolgreiche Unternehmer kennengelernt als in Zürich in einem Jahr. Es gibt sehr viel Innovation hier und Unternehmerwillen.“ Hess nickt zustimmend: "Die Leute wollen Ernst genommen werden.“
Sollte das Historische Museum nach Romanshorn?
Die „Provinz“, Romanshorn – gute Standorte für weitere Projekte? Wir lassen den Blick über das Areal am Hafen schweifen. Gleich neben den neu gestalteten Büroräumen der SBS stehen die leerstehenden Lagerhallen, die das Historische Museum in den Blick genommen hat als neuen Standort.
Hess findet klare Worte: „Ich sage es Ihnen unverblümt: Ich finde diese Lagerhallen unfassbar hässlich. Nicht alles, was alt ist, ist auch schön. Mich erinnert das an eine Mischung aus Gefängnis und Auschwitz.“
Werden aus diesen Fenstern bald Besucher des Historischen Museums aufs Hafenareal blicken? Die Lagerhallen stehen in der engen Auswahl für einen Umzug des Museums, das derzeit in Frauenfeld ist.
Seine Investementgruppe hätte auch lang Interesse gezeigt, nun sei das Gebäude allerdings an einen Spekulanten gegangen. Wenn der Kanton dafür nicht zu viel bezahlen müsse, könnte es gutgehen, prognostiziert Hess. „Vermutlich ist es für Romanshorn nur zielführend, wenn dieses Areal touristisch genutzt wird“, ergänzt er mit nachdenklichem Blick auf die Hallen. „Aber allein die Fenster – schauen sie nur. Und das Dach. Es wird enorm aufwendig, dieses Gebäude zu sanieren. Möglich ist es natürlich trotzdem.“ Die Besucher des Historischen Museums würden das Geschehen rund um den Hafen in jedem Fall gut ergänzen und von ihm profitieren.
„Also ich würde das ja alles abreissen und im Stil der SBS jetzt erweitern und neu bauen oder ein grosses Hotel dort hinstellen“, gibt ein befreundeter Immobilieninvestor zu bedenken, der sich zu späterer Stunde zum Gespräch dazu gesellt hat. Die neu gestaltete Hafenplattform an sich erinnere ihn an Sydney und Darling Harbour – „Romanshorn ist auf einem sehr guten Weg!“
„Wann machen Sie morgens auf?“
Mit 100 Plätzen draussen und 80 Sitzplätzen drinnen ist das Restaurant gewappnet für den grossen Ansturm. Bei Bedarf können sogar bis zu 1200 Gäste bewirtet werden – wenn man die ganze Hafenplattform miteinbezieht. Bisher ist ein solches Grossevent aber nicht in Planung, genug Interesse besteht auch so.
Im Innenbereich des Restaurants wechseln sich kleine Fundstücke, wie ein "Kapitänssprachrohr", mit Stücken von Jungdesignern und lokal hergestellten Tischen ab.
„50 Reservierungen haben wir bereits fürs Mittagessen am ersten Tag!“, freut sich Benno Gmür. „Solange warte ich erst gar nicht“, merkt eine vorbeischlendernde Schiffliebhaberin an (die in den vergangenen Monaten sage und schreibe 50 Mal mit Schiffen der SBS gefahren ist und sich als wohl einer der grössten Fans der SBS outet). „Wann machen Sie morgens auf? Ich werde als erste da sein“, sagt die Frau aus Romanshorn vorfreudig.
Als nach zwei Stunden Gespräch der inzwischen zehnte Besucher neugierig ums Eck blickt, lehnt sich Hess in seinem Stuhl zurück und nickt zufrieden. Es sieht ganz danach aus, als würden sich die Investitionen auf lange Sicht lohnen.
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Die Serie "Architekt(h)ur" beleuchtet in regelmässigen Abständen Kulturpolitik von einer ihrer greifbarsten Formen und Schauplätze: Der Architektur.
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Neue Hafenanlage in Romanshorn -SWR vom 29.04.2015
Eine Einsprache, die keine ist - Thurgauer Zeitung vom 29.03.2014
Falsches Spiel der SBB - NZZ vom 09.04.2006
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