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von Sascha Erni, 23.06.2015

Krimiland Thurgau (1/3)

Krimiland Thurgau (1/3)
Kein Faible für Bluträusche in Krimis: Daniel Badraun. | © Rolf Müller

Die Buchhandlungen sind gut gefüllt mit deutschsprachigen Krimis. Auch Schweizer Autoren mischen vorne mit. Wie steht es mit unserer Region, gibt es überhaupt Thurgauer Krimis? - Eine Übersicht von Daniel Badraun.

Herr Badraun, wie haben Sie Ihre erste Leiche erlebt?

Beim eigenen Schreiben habe ich mich lange gegen Leichen gesträubt. Meine ersten Krimis waren Fortsetzungsgeschichten fürs Radio, die kamen noch weitgehend ohne aus. Auch künftig werde ich kein Freund von blutigen Massenmorden sein. Allerdings kann es wie im richtigen Leben passieren, dass bei einer Verkettung von Umständen jemand ums Leben kommt.

Persönlich kenne ich den Tod aus meiner Jugend. Meine Eltern betrieben eine Schreinerei im Engadin, da gehörte auch der Handel mit Särgen und das Einsargen dazu. Dabei habe ich manchmal mitgeholfen.

Was ist der Reiz des Bösen?

Meine Motivation beim Schreiben von Krimis ist es, Themen aufzunehmen, die mir unter den Nägeln brennen. Beispielsweise habe ich mich intensiv mit dem Tourismus und seinen negativen Folgen auseinandergesetzt. Da könnte man jetzt eine wissenschaftliche Abhandlung schreiben, aber das finde ich nicht spannend. So ähnlich ist das auch mit anderen Themen wie Betrugsfällen. Verwoben in die Handlung eines Krimis ist eine andere Art des Geschichtenerzählens möglich. Bei meinen Protagonisten ist das immer eine subjektive Sichtweise ohne rechthaberischen Anspruch.

Amerikanisches Storytelling im Geist von T. C. Boyle?

(lacht) Das ist natürlich ein hoher Anspruch. Aber ja, in dieser Tradition, ein bisschen wie Tom Wolfe: Einfach erzählen, wie Menschen Dinge erleben, ohne zu sehr zu werten und ohne Moralfinger.


In Ihrem Weiterbildungsurlaub als Lehrer wählten Sie eine Hospitanz beim Theater Bilitz, eine Stage beim Mediendienst der Kantonspolizei Thurgau, jetzt schreiben Sie beim Boten vom Untersee und Rhein auf der Redaktion. Wie hat der Besuch der Kapo Ihr Krimibild verändert?

Es hat vor allem mein Bild der Polizei stark beeinflusst. In meiner Jugend erlebte ich diese nicht unbedingt als Freund und Helfer. Bei der Kapo Thurgau hatte ich nun mehrmals Gelegenheit, auf Patrouille mitzugehen, was mir ein positives Bild einer nachbarschaftlich arbeitenden Polizei vermittelte, nicht einer drohenden und strafenden.

Als Schriftsteller habe ich mich entschlossen, Gaudenz Huber, meinen Dorfpolizisten im Roman ‚Schwarzeis‘, ein Buch lang im Thurgau ermitteln zu lassen. Schliesslich ist seine Frau hier aufgewachsen. Ich habe bereits angefangen zu schreiben.

Die Bilanz Ihres Quervergleichs der regionalen Krimis mit Bezug zum Thurgau?

Ernüchternd. Die Statistik, die ich dazu erstellt habe, spiegelt auch die generelle Wahrnehmung des Thurgaus wider: Er ist unterbewertet. In Schweizer Krimis kommen vor allem die grossen Städte zum Zug, beispielsweise Zürich. In ländlichen Gegenden sind es Kantone mit einem gewissen touristischen Touch wie der Alpstein in Appenzell, Graubünden oder das Berner Oberland.

Das ändert ja jetzt bald mit dem Engadiner Polizisten Huber in Mission im Thurgau.

Ich hoffe, dass das einen Beitrag zur besseren Wahrnehmung des Kantons leistet. Früher hätte ich mir eine Handlung im Thurgau nicht angemasst, jetzt fühle ich mich bereit dazu. (rom)


***

Die Thurgauer Krimilandschaft

Felben, 2012.

Text: Daniel Badraun
Bilder: Sascha Erni

Der deutschsprachige Krimi boomt, vor allem diejenigen mit regionalem Bezug. So finden sich weit oben in den Bestsellerlisten Titel von Norbert Fizek, Andreas Gruber, Andreas Föhr, Klaus-Peter Wolf oder Nele Neuhaus. Regionalkrimis aus Bayern, dem Allgäu, aus dem Ruhrgebiet oder von der Insel Sylt haben Hochkonjunktur. Die Verlage Emons in Köln, Gmeiner in Messkirch, Graffit in Dortmund und Pendragon in Bielefeld haben den Regiokrimi salonfähig gemacht und liefern das Verbrechen sowie die dazugehörigen Ermittler in die gute Stube.

Menge bedeutet nicht Qualität

Kaum ein Ort in Deutschland, der von dieser Krimischwemme nicht erfasst wurde. Ein Ende ist nicht in Sicht. Der Gmeiner Verlag beispielsweise wartet in diesem Frühjahr mit 50 Neuerscheinungen auf. Bei dieser Menge kann die Qualität leiden, wenn Autorinnen und Autoren einen dürftigen Plot und die magere Geschichte hinter guter Ortskenntnis und viel Lokalkolorit verstecken. Ein deftiges Rezept aus der Region macht die Sache nicht besser. Spätestens bei Seite 30 sind die Knödel gegessen, die Luft ist draussen und das grosse Gähnen setzt ein.

Das muss nicht sein. Kauzige und etwas sperrige Ermittler wie der Allgäuer Kommissar Kluftinger in seinem klapprigen Passat leuchten hell am Krimihimmel. Wenn Klufti seiner japanischen Schwiegertochter beim Spätzle essen die Eigenheiten seiner Heimat erklärt, bleibt kein Auge trocken.

Felben, 2011.

Zürich, das kriminelle Zentrum der Schweiz

Die Krimilandschaft in der Deutschen Schweiz ist gut zu überblicken. Neben den Bestsellerautoren Martin Suter, Hansjörg Schneider und Michael Theurillat haben sich weitere Autoren mit mehrbändigen Reihen etabliert. Auch einige Schweizer Verlage sind im Markt präsent und bringen neben Literatur auch einheimische Krimis heraus, so Diogenes, Kein und Aber, Limmat, der Unions- und der Appenzeller Verlag. Die meisten Autoren müssen aber weiterhin nach Deutschland ausweichen. Emons, Gmeiner und Graffit nehmen vermehrt Schweizer Autoren in ihr Programm auf, die professionellen Marketingabteilungen sorgen dafür, dass diese Bücher auch in die Buchhandlungen kommen.

Im Programm dieser drei Verlage sind die Regionen ganz unterschiedlich vertreten. So gibt es 30 Krimis aus dem Grossraum Zürich, 20 aus dem Kanton Bern, Appenzell ist mit 7 Bänden vertreten, Graubünden mit 6, Basel und der Aargau mit je 5 Werken. Dazu kommen noch etliche Bücher aus anderen Verlagen wie Piper, Ullstein oder Goldmann, auch dort ist Zürich Spitzenreiter.

Dreiteilige Serie Krimiland Thurgau

Daniel Badraun, selber Autor, beschreibt in einer dreiteiligen Serie, wie der Kanton Thurgau in der Kriminalliteratur Niederschlag findet und welche Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus dem Thurgau aktiv sind. Teil zwei folgt am 25. Juni, Teil drei am 27. Juni. (rom)


Der Thurgauer Autor Severin Schwendener aus Müllheim siedelt seine Geschichte ebenfalls in der grössten Schweizer Stadt an. „Seit meinem Studium bin ich praktisch täglich in Zürich, die Stadt ist mir zur zweiten Heimat geworden. Also wollte ich meinen Krimi in Zürich spielen lassen. Auch mein Jugendbuchverlag wollte einen Jugendkrimi, der in Zürich spielt. Das Buch verkauft sich hauptsächlich in Deutschland, Zürich kennt man dort im Gegensatz zum Thurgau.“

Für Schwendener ist es klar, dass es im ländlichen und friedlichen Thurgau weniger Spannungspotential gibt, das man für Krimis ausschlachten könnte. „Quartiere wie Seebach oder der Kreis 4 in Zürich, die Afrikaner- und Schwulenszene, die Banken, der Flughafen, der internationale Forschungsstandort, das alles sind interessante Milieus für einen Krimi.“

Thurgau - vom Krimi nur gestreift?

Es gibt gerade mal einen Krimi mit einem Thurgauer Titel. Allerdings hat der Roman „Beim Flügelschlag des Thurgauer Mönchs“ von Peter F. Keller rein gar nichts mit unserem Kanton zu tun hat. Der „Thurgauer Mönch“ ist kein hinterhältiger Mörder, auch kein listiger Detektiv sondern eine Brieftaubenrasse. Auf der globalen Krimikarte scheint der Kanton Thurgau ein weisser Fleck zu sein. Von der grossen Kriminalliteratur wird er gerade mal gestreift. So verbrachte Friedrich Glauser, Autor der Wachtmeister-Studer-Romane, drei Jahre im Landerziehungsheim Glarisegg bei Steckborn. 1913 wurde er gezwungen, die Schule zu verlassen.

Frauenfeld, 2011.


Knapp eine Seite des Romans ‚Small World’ von Martin Suter spielt in Basadingen. Im Libelle-Verlag in Lengwil erschienen die ersten vier Berndorf-Krimis des deutschen Autors Ulrich Ritzel. „Schwemmholz“ wurde mit dem Deutschen Krimi Preis und „Der Hund des Propheten“ mit dem Burgdorfer Krimipreis ausgezeichnet.

Autorinnen und Autoren aus dem Thurgau

Dennoch gibt es sie, die Thurgauerinnen und Thurgauer, die Krimis schreiben und diese auch veröffentlichen. Zu den bekanntesten Autoren gehört der in Islisberg wohnhafte Schriftsteller und Schauspieler Peter Höner, von ihm erschienen zwischen 1990 und 2003 im Zürcher Limmat Verlag vier Krimis um den Detektiv Jürg Mettler. Drei dieser Geschichten spielen in Kenia.

Severin Schwendener aus Müllheim lässt seine drei Bände um Hauptmann Thomas K. Hilvert der Zürcher Kantonspolizei in Zürich spielen. Für „Schach & Matt“ (Edition 8) erhielt er 2014 den Zürcher Krimipreis. Neu im Geschäft sind Sanela Egli aus Weinfelden (Der Raum, Emmerich Books, 2014), Eva Maria Hux aus Frauenfeld/Stockholm (Im Labyrinth des Poeten, Latos Verlag, 2014) und die in der Thurgauer Kulturszene sehr aktive Zora Debrunner (Lavinia Morgan, Privatdetektivin, Vidal Verlag, 2014).

Der Autor

Daniel Badraun, 1960 in Samedan im Engadin geboren, lebt seit 26 Jahren in Schlattingen bei Diessenhofen. Er arbeitet als Lehrer und Autor. Im Auftrag des Amtes für Volksschule schreibt er Texte für das Leseförderprojekt www.geschichtendock.ch. Krimis: Rheinfall, Limmat Verlag 2009, Hundsvieh, Gmeiner Verlag 2013, Muschelgaul, Gmeiner Verlag 2015, Schwarzeis, Emons Verlag, 2015. Ausserdem: Willkommen im Engadin, ein Reise-Lesebuch, Gmeiner Verlag 2013, Gelegenheit macht Diebe, ein Krimispiel, Gmeiner Verlag 2015. Die neueren Krimis von Badraun spielen alle im Engadin. Badraun liest am 25. Juni um 19.30 Uhr in der Buchhandlung Bodan in Kreuzlingen: Anmeldung hier

www.badrauntexte.ch

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