von Jürg Schoop (1934 - 2024), 15.02.2015
Naef-Connections (Video)
Ob auf den Spuren von Werner Herzog und Klaus Kinski am Amazonas oder Italianitá in Rom: Die Künstlerin Doris Naef ist überall zu Hause und gestaltet ihre Erfahrungen dort, wo sie sich aufhält. Manchmal auch daheim.
Jürg Schoop
Blaise Pascal, Wissenschaftler und Theologe (17. Jahrhundert) soll gesagt haben, „dass alles Unglück der Welt von der Unfähigkeit des Menschen herrühre, allein in einem Zimmer zu sein“. Das mag in mancher Hinsicht stimmen, trifft aber ganz und gar nicht auf die Künstlerin Doris Naef zu.
Ein Unruhgeist ist sie, plant – kaum zurück – schon die nächste Reise. Nicht Frankreich oder Italien, das sind Klackse; dahin geht’s wie unsereiner nach Hotterdingen. Nein, Indien etwa, von da hat sie handgeschöpftes Bütten mitgebracht oder dem Amazonas lang. Unglück hat sie allerdings nicht heraufbeschworen, im Gegenteil: ihre voll ausgebildete Aufnahmefähigkeit für fremde Architekturen, Farben, Materialien und Gerüche bereichern stets wieder ihre künstlerischen Aussagen, die in ihrer Geschlossenheit und in ihrem Ansprechvermögen nur Freude bereiten, - ganz bestimmt der Theorie mit dem Unglück aufs heftigste widersprechend.
Die Vernissage im Bernerhaus Frauenfeld im Video von Jürg Schoop:
Die sorgfältig eingerichtete Ausstellung im Kunstverein kann nur einen Überblick auf das reichhaltige Werk geben. So fehlen die zahlreichen Projekte am Bau, die Naef für die öffentliche Hand realisiert hat, wie etwa für das Gemeindehaus in Rümlang – eine Lichtinstallation - und den BBZ-Neubau in Weinfelden. Auch bei solchen Projekten ist sie mit derselben Akribie vorgegangen, wie bei der Gestaltung von Farbflächen oder dem Zusammenfügen von Fotografien.
Frühere Arbeiten sind im ersten Zimmer zu sehen, darunter ein Faltobjekt von 1995, bei dem architektonische Gestaltung immanent und die farbliche Gestaltung von Flächen bereits wegweisend ist. Neue Arbeiten befinden sich im 3. und 4. Raum. Im Mittelpunkt stehen die Blätter aus dem Rom-Aufenthalt 2013 - die auch zu einem Buch verarbeitet wurden -, eine lockere und gelungene Verbindung von Zeichnung, Fotografie und Druck, die auch Erinnerungen an den Franzosen Raoul Dufy wach rufen.
Wegweisende farbliche Gestaltung von Flächen: Faltobjekt von 1995. (Bilder: Jürg Schoop)
Gelungene Verbindung von Zeichnung, Fotografie und Druck: Arbeit aus dem Aufenthalt in Rom.
Seit etwa sechs Jahren beschäftigt sich die Künstlerin auch mit der Ätzung von Chromstahlplatten, eine derartige Arbeit sehen wir im letzten Raum. Die fotografische Verbindung einer Gartenidylle und ihrem Pendant als Negativätzung auf Chromstahl kann – trotz des heiklen Anspruchs – überzeugend auftreten.
Überzeugende Arbeit: Fotografische Verbindung einer Gartenidylle und ihrem Pendant als Negativätzung auf Chromstahl (rechts die Künstlerin).
Doris Naef kombiniert auch erfolgreich Fotografien: was auf den ersten Blick wie eine fotojournalistische Arbeit von ihren Rom-Eindrücken erscheint, entpuppt sich beim näheren Sehen auch als eine durchdachte Komposition von Farben und Formen.
Die zahlreich erschienenen und angeregten Vernissage-Besucher, darunter manche Koryphäen des Kulturlebens, weisen deutlich darauf hin, dass die Künstlerin die längst verdiente, breite Anerkennung gefunden hat. Adolf Ogi würde sagen „Freude herrscht!“ und der Frauenfelder-Chnuri könnte schreiben: „Gut. Hingehen.“ Sein anderes Stichwort: „Schade fürs Geld, man würde besser allen Künstlern einen Pinsel schenken...“ würde er in diesem Fall bestimmt nicht anwenden. Also hingehen, ehe es zu spät ist.
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"Connections"
Ausstellung vom 15. Februar bis 15. März 2015
Kunstverein Frauenfeld, Bernerhaus, Bankplatz 5, 8500 Frauenfeld
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Mehr zu Doris Naef:
Thurgauer Kuhfladen geht fremd - thurgaukultur.ch vom 28.07.2014
KOMMENTAR *
von Jürg Schoop・vor 2 Jahren
Ein Besucher der Vernissage hat geäussert, dass ihm die Zeichnungen in den Rom-Collagen zu wenig präzis wären, wenn das Augenmerk in Hinsicht darauf gerichtet wäre und andrerseits, wenn Zeichenhaftes und Lockerheit gefragt wären, ein Anspruch auch nicht eingelöst sei. Also in jedem Fall daneben...(Ich hoffe, ich habe das richtig zitiert, andernfalls kann sich der Kritiker ja noch melden.) Auffassungen über Zeichnung kann es durchaus verschiedene geben. Mir hat die collagierte Italianita gefallen, ich finde sie in ihrer Art gekonnt. Man soll darüber fröhlich diskutieren und nicht so leisetreterisch und ängstlich sein.
Meine Einwände gegen eine Künstlerin wie Doris würden sich auf ganz Anderes (nicht die Könnerschaft) beziehen. Ich wäre da weniger pingelig. Auf der ganzen Welt gibt es sicherlich mindestens etwa 300 Künstler und Künstlerinnen, die auch - und nicht alle ungekonnt - mit farbigen Flächen und Montage mit Fotografien arbeiten. Die Frage ist, soll man jetzt die einzelnen Arbeiten nur im Kontext der jeweiligen Autorenschaft bewerten und vergleichen, oder soll man sie im Verbund mit der Geschichte der farbigen Fläche sehen und interpretieren? Oder anders formuliert, welchen Sinn macht es, an etwas zu arbeiten, an dem schon seit 80 Jahren gearbeitet wird und an dem 299 andere Kollegen und Kolleginnen zur Zeit ihr Profil stärken. Man kann Kunst als individuelle (wenn vorhanden) Aesthetik interpretieren (die bei Naef vorhanden ist) oder auch als Daseins- und Sinnfrage. Der sich ein Künstler nicht entziehen kann. Das hat nichts mit der Künstlerins Könnerschaft in einem bestimmten Kontext zu tun. Es ist -wie gesagt- eine Frage an uns alle
* Seit März 2017 haben wir eine neue Kommentarfunktion. Die alten Kommentare aus DISQUS wurden manuell eingefügt. Bei Fragen dazu melden Sie sich bitte bei sarah.luehty@thurgaukultur.ch
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