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von Brigitta Hochuli, 17.11.2010

Mönch, Künstler, Herzeigekopf

Mönch, Künstler, Herzeigekopf
Die Stiftung Komturei Tobel werde nur langsam vorwärtskommen, aber geerdet und abgesichert. „Der einzige Weg ohne Geld“, sagt Benedikt Wälder, Co-Präsident des Stiftungrats. | © Brigitta Hochuli

Der 60-jährige Benedikt Wälder ist Mönch, Künstler und als Co-Präsident der „Herzeigekopf“ der Stiftung Komturei Tobel. Ein Teil des Projekts Komturei ist die Kultur. Ausdruck davon war diesen Sommer der Tatort II, zu dessen Dokumentation Wälder zurzeit ein Editorial schreibt. Ein Gespräch über den Tatort mit seiner Geschichte, über Sprache, Spiritualität, Glaube, die Angst vor der Kunst und über ein neues Auftreten der Stiftung im Umgang mit der Politik.

Brigitta Hochuli

Herr Wälder, was bedeutet für Sie Kultur?

Benedikt Wälder: Ich HABE keine Kultur. Ich BIN Kultur. Genauso wie ich Bildung habe, aber keine Ausbildung.

Was heisst Kultur SEIN?

Wälder: Wahrnehmung. Und ich male, schreibe, früher machte ich auch Film, Theater und Musik. Ich bin Mönch und Künstler. Ich bin tutto. Ich kann viele verschiedene Sachen recht gut, bin aber nirgends genial.

Was haben Mönchsein und Kunst miteinander zu tun?

Wälder: Zwischen dem monastischen Leben und der Kunst gibt es grosse Parallelen. Für mich ist die Gottsuche ein ebenso bestimmender Teil meiner kulturellen Entwicklung wie die Kunst. Der Rest ergibt sich daraus, dass ein Kloster immer auch ein Abbild der Gesellschaft ist.

Die Gottsuche zeigt sich in Ihrer Kutte. Warum tragen Sie sie? Sie sind ja unabhängig und gehören nicht offiziell einem Kloster an.

Wälder: Die Kutte ist meine fahrbare Kapelle, und zwar gegen innen. Was sie nach aussen bewirkt, kümmert mich wenig. Sie erinnert mich täglich daran, wofür ich mich entschieden habe und dass ich Gott bisher nicht gefunden haben, sondern ihn wie gesagt suche.

Fährt man zur Komturei, muss man an Ihrem Haus vorbei. Eigentlich ganz natürlich, dass Sie vor zwei Jahren Co-Präsident der Stiftung wurden. Welche Aufgaben erfüllen Sie im Gremium genau?

Wälder: Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich der Exponent bin, der Herzeigekopf, Mann vor Ort und für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Zudem habe ich Betriebe geleitet und weiss, wie man eine Bilanz liest. Das wird, zusammen mit den Kompetenzen der anderen Stiftungsräte, zu einem Turnaround der Stiftung führen, welcher uns im Umgang mit der Politik anders positionieren wird. Aber die Komturei braucht vor allem jetzt einmal Ruhe, damit sie vorwärts kommt.

Eine Richtungsänderung wohin?

Wälder: Auf einen eigenen Weg mit mehr Selbstsicherheit und dadurch etwas provokativer. Ich absolviere für die Komturei einen Halbtagsjob, habe in den letzten zwei, drei Jahren schon um die 3000 bis 4000 Stunden gratis und gerne dafür geschuftet.

Gibt es für die Komturei Visionen, die noch nicht bekannt sind?

Wälder: Es sind die alten, bereits bei der Stiftungsgründung 2006 formulierten. Wir wollen in der Komturei verschiedene Bereiche menschlichen Lebens ansiedeln: Arbeiten, Wohnen, Lernen, Suchen und Finden, Begegnung und Kultur. Wir denken auch an Unterkünfte für alte Menschen. Das alles ist nicht neu, es ist das Konzept des Lebensplatzes und eigentlich fast wie ein Hippie-Projekt in den 70er-Jahren - zumindest, was die Einsatzfreude betrifft. Die Stiftung wird nur langsam vorwärtskommen, aber geerdet und abgesichert. Der einzige Weg ohne Geld.

Lassen Sie uns auf die Kultur zurückkommen. Sie arbeiten gerade an einem Text zur Dokumentation des Kunstprojekts Tatort II vom vergangenen Sommer. Darin beschreiten Sie mit dem jungen Ritter Wenzel den Weg einer Zeitreise, die 1228 mit der Entstehung der Johanniter-Komturei beginnt und 2010 endet. Die Zeitspanne Ihrer Geschichte geht also weit über jene der Komturei als Kantonsgefängnis von 1809 bis 1973 hinaus. Warum diese ungewöhnliche Form für ein Editorial?

Wälder: Von insgesamt 782 war die Komturei gerade mal während 164 Jahren ein Gefängnis, bevor sie dann 33 Jahre lang leer stand. Man vergisst, dass sie während viel längerer Zeit, 585 Jahre, einer der wichtigsten Orte des Kantons war. Sie war der Verwaltungssitz des Johanniterordens und mit einer grossen Machtfülle ausgestattet. Man war hier sehr reich und einflussreich als geistlicher, wirtschaftlicher und machtpolitischer Angelpunkt. Heute spricht man aber nur von der Gefängnisphase und den fünf Jahren Stiftung.

Womit hat dieses Manko Ihrer Meinung nach zu tun?

Wälder: Mit der Selbstbewusstseinsfrage des Thurgauers oder mit einem unaufgearbeiteten Geschichtsbezug. Zuerst zur Macht der Komturei und danach halt einfach zu DEM Thurgauer Knast, mit allem, was diesem an Gefühlen anhaftet.

Die Kunstprojekte der Komturei heissen nun aber Tatort und fokussieren damit eben auf diese Gefängnisphase der Komturei.

Wälder: Deshalb schreibe ich ja die Geschichte vom Ritter Wenzel, um zu zeigen, dass es noch einen Tatort der Mächtigen vor dem Gefängnis gab. Das interessiert im übrigen auch die Kreativen immer mehr. Und deshalb wollen wir den Tatort, an dem dieses Jahr 42 „fixe“ und 14 dazugekommene Künstler beteiligt waren, neu positionieren und weg kommen vom Konzept der Gefängniszellen.

Im Editorial für den Tatort II beschränken Sie sich nicht auf Konzeptfragen, sondern begehen narrativ noch einmal die Ausstellung. Zudem kommunizieren Sie gern, chatten und bloggen im Internet, arbeiteten früher für die Presseagentur Bild und Text AP. Was bedeutet Ihnen das Schreiben?

Wälder: Ich bin ein Wortmensch und habe enorm Freude an der Sprache. Sprache ist die Form der Mathematik, die mir am zugänglichsten ist neben der Musik.

Sprache als Form der Mathematik? Das verstehe ich nicht.

Wälder: Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum es für Sprache im Internet so wenig Bites braucht? Sprache ist ein Flechtwerk, bei dem man mit minimalen Umstellungen viel erreichen kann. Aber was wirklich wichtig ist, lässt sich trotzdem nicht sagen. Deshalb rede ich so viel, weil ich die Chemie klarer auflegen und entwickeln will.

Zurück zur Geschichte vom jungen Ritter Wenzel. Darin bezeichnen Sie den Tatort als Gegenentwurf zur zukunftslähmenden Bewahrungsgier der Menschen, sprechen davon, dass sich die Spirale des Bewusstseins abwärts drehe. Ist die Zukunft nur mit Spiritualität zu bewältigen? Und was verstehen Sie eigentlich darunter?

Wälder: Spiritualität ist ein inflationärer Begriff geworden, sie bedeutet zunächst einmal geistiges Leben. Dazu gehört die inhaltliche kulturelle Entwicklung in der Individualität und in der Kommunikation mit der Umwelt, dann das Hören auf den eigenen Weg und der Traum von einer besseren Welt.

Spiritualität hat also nichts mit Religion zu tun?

Wälder: Religion ist eine mögliche Organisationsform eines spirituellen Lebens.

Und mit dem Glauben?

Wälder: Der Glaube im christlichen Sinn ist Gnade. In meinem Sinn ist er das Resultat aus einem Willensakt. So sind die Mystiker, sie verbrennen einen Anteil ihrer Spiritualität bis zur Ekstase. Sie sind am nächsten verwandt mit dem brennenden Künstler.

Fragen und Antworten der Kunst öffneten die Türen des menschlichen Geistes, schreiben Sie in Ihrer Wenzel-Geschichte und fragen, woher dann die Angst vor der Kunst rühre. Woher rührt sie? Hat sie damit zu tun, dass, wie Sie sagen, die Künste schon immer das Lied der Freiheit gesungen haben?

Wälder: Im Moment entsteht die Angst vor der Kunst aus dem Überfluss, den wir als Überforderung wahrnehmen. Früher waren wir der Kunst gegenüber aufgeschlossener.

Tatsächlich?

Wälder: Ja. Wir haben bloss vergessen, dass zum Beispiel das Aufkommen der Dreidimensionalität in der Renaissance , die vorletzte Jahrhundertwende oder die 68er Jahre ganz entscheidende Umwälzungen in den Künsten gebracht haben. Es ist aber die genuine Aufgabe der Kunst, am Mainstream zu kratzen.

Sie meinen also, die Menschen hätten früher weniger Angst vor der Kunst gehabt als heute. Worauf führen Sie das zurück?

Wälder: Darauf, dass sie nicht so vollgestopft waren. Vielleicht spielt auch der Glaube eine Rolle. Ich weiss aber nicht, wie sehr. Jedenfalls hatte der alte christliche Glaube mit seiner Ergebenheit auch sein Gutes. Vielleicht hat früher eine spezielle Naivität dazu geführt, dass etwas Neues eher entgegen genommen wurde. In „einfachen“ Kreisen stelle ich das heute noch fest.

Und welche Rolle spielt jetzt das Künstler-Lied der Freiheit?

Wälder: Freiheitlich heisst in diesem Falle eigentlich nur „nicht obrigkeitshörig“ oder „mainstreamversklavt“. Freiheit erhält man nicht, man muss sie sich nehmen. Und der Thurgau ist ein Obrigkeitskanton. Das patriarchalisch Altväterliche aus der Biedermeierzeit bringen die Thurgauer zum Teil einfach nicht weg. Und es gibt einige von ihnen, die diese Auffassung vollständig teilen.

Damit machen Sie sich aber nicht nur Freunde!

Wälder: Ich weiss nicht. Ich habe keine Feinde. Und wenn ich welche hätte, interessieren sie mich nicht. Allerdings - wenn einer seine Macht um der Macht willen durchsetzen will, muss er mit mir rechnen!

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Eine Art Benediktiner

Benedikt Wälder ist 1950 geboren und - mit französischer Muttersprache - in der Nähe von Zürich aufgewachsen. Nach beruflichen Erfahrungen in handwerklichen, juristischen und journalistischen Bereichen sowie dem Engagement in der Aids-und Drogen-Hilfe beschaffte er sich in den Benediktinerklöstern Einsiedeln und Engelberg während dreier Jahre das monastische Grundwissen und wurde so im Selbststudium Mönch. 1994 gründete er in einem Castello im Tessin, anfänglich zusammen mit Mitgliedern des Anwaltskollektivs, eine Genossenschaft. Daraus wurde mit der Zeit ein Kloster. Hier verwirklichte er das Projekt Vivo für benachteiligte Menschen, HIV-Positive, kulturell oder spirituell Interessierte und Ordensleute. Vor vier Jahren kam Benedikt Wälder nach Tobel und kaufte für sich, seine kranke Mutter und zwei Mitbrüder das Restaurant Kreuz, nachdem er zuvor 20 Jahre lang im Tessin gearbeitet hatte. Er lebt heute allein im „Kreuz“, das er als „Kloster auf Zeit“ bezeichnet. Seine Männergemeinschaft, die sich nach der Regel des Heiligen Benedikt von Nursia ausrichtet, besteht aber nach wie vor. Wälder ist nach eigenen Worten „eine Art Benediktiner“ - zwar ohne Anbindung an die Schweizer Benediktinerkongregation und ohne Ordensgelübde, aber mit den Klöstern eng vernetzt. Co-Präsident der Stiftung Komturei Tobel ist Benedikt Wälder seit 2008. (ho)

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