von Brigitta Hochuli, 26.04.2016
Andrea Gerster und ihr Berlin
Seit Anfang Januar lebt die Thurgauer Schriftstellerin Andrea Gerster in Berlin Mitte. Die Kulturstiftung Landis & Gyr hatte ihr das Atelierstipendium Literatur zugesprochen. Doch der Aufenthalt geht bald zu Ende. Am 8. Mai ist ihr erster Einsatz als Programmverantwortliche im Literaturhaus Liechtenstein.
Interview: Brigitta Hochuli
Andrea Gerster, woran arbeiten Sie in Berlin?
Ich arbeite wie oft an mehreren Projekten gleichzeitig. Seit der Ausstellung in der Kunsthalle Arbon im 2011, in der ich einen Text im Hörspielmodus mit fiktiven Interviews mit Obdachlosen zur Ausstellung Niemandesland beisteuerte, befasse ich mich mit dem Thema Obdachlosigkeit. Für dieses Projekt, ein Roman, habe ich das Atelierstipendium erhalten.
Kommen Sie vorwärts mit dem Roman oder ist die Grossstadt eher hinderlich?
Ich komme insofern vorwärts, als dass ich hier sehr gut recherchieren kann. Die Menschen sind direkt, offen, nett, böse, nüchtern, fröhlich, betrunken - die ganze Palette des Menschseins kann ich hier an einem Tag erleben, wenn ich mich als Passante - weibliche Form von Flaneur - betätige.
Waren Sie zwischenzeitlich oft in der Schweiz? Sie haben ja bei beim Kunstprojekt Transfer in Steckborn mitgewirkt.
Ich war eine Woche in der Schweiz und hatte Lesungen bei «Erzählzeit ohne Grenzen» und in der gleichen Woche installierten Sylvia Hostettler und ich das Objekt Fabulate für die Ausstellung Transfer. Mein Textbeitrag für „Fabulate“ entstand übrigens auch in Berlin. Durch Zufall lernte ich die Schauspielerin Frederike Frei kennen, sie hatte genau die Art brüchige Stimme, die ich suchte. Wir machten zusammen die Aufnahmen, ich unterlegte mit Geräuschen, die ich zuvor aufgenommen hatte und absolvierte dabei einen autodidaktischen Crashkurs in Tontechnik.
Wie lebt es sich so in Berlin?
Ich habe eine zweckmässig eingerichtete Altbauwohnung an der Auguststrasse zur Verfügung. Die wichtigsten Theater sind in Laufnähe, ebenso die Museumsinsel. Reihum sind hippe Cafés, viele Galerien, Kitas und Schulen. Beim ersten Sonnenstrahl bewegen sich die kulturbeflissenen Touristenströme durch die Gassen.
Haben Sie eine Lieblingsbeiz?
Mindestens zwanzig Lieblingsbeizen. Sehr gut, sehr vegetarisch, sehr freundlich, sehr freundlich.
Neue Freunde?
Ich hatte eine Lesung in Berlin Steglitz und wurde darauf hin zu einer zweiten eingeladen und dann zu einer Vogelwanderung. Ausserdem sorgt die Schweizer Botschaft in Berlin mit der Einladung zu zwei Backstagetagen dafür, dass sich die Schweizer Stipendiaten in Berlin gegenseitig kennenlernen. Das ergibt wunderbare Kontakte. Kennengelernt habe ich auch viele Kultureinrichtungen. Für bildende Künstlerinnen und Künstler, auch für nicht mehr ganz junge, gibt es tolle Angebote für Atelierplätze, Ausstellungsräume usw. Ausserdem gab es einen Botschaftsempfang, wo wir an einen Tisch mit Berliner Kulturakteuren gesetzt wurden. Meral Kureyshi und ich tauschten uns mit Schriftsteller Matthias Zschokke, einem Übersetzer und dem Programmverantwortlichen des LCB, aus. Eine Einladung konnte ich aus Zeitgründen nicht mehr annehmen: Die Einladung zum Kaffee in die Botschaft Liechtenstein von Prinz Stefan von und zu Liechtenstein.
Gab es Höhepunkte während Ihres Berlinaufenthalts?
Ich habe mir viele und sehr gute Theaterstücke ansehen können und befürchte, dabei viel gelernt zu haben. Höhepunkte waren aber auch die Besuche von Familie und Freunden, die sich nur zu gern von mir durch mein Berlin Mitte führen liessen oder nach Potsdam oder an den Schlachtensee.
Kommen Sie gern zurück?
Ich komme gern zurück, zu meiner Familie und zu meinen Freunden. Aber ich werde weitere Schreibaufenthalte in Berlin einplanen. Das tut mir und meiner Arbeit gut.
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